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Der blutrote Kolibri

Der blutrote Kolibri

Titel: Der blutrote Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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Bekanntschaft mit dem Knüppel nicht hatte brechen können. Doch bei jeder hastigen Bewegung in ihrer Nähe zuckten die Lider der Frau nervös. Sie war also scheinbar schon häufiger geschlagen worden …
    Animaya war begierig, mehr über sie zu erfahren. »Wie heißt du?«, fragte sie leise.
    Die Frau wandte sich ab, ohne einen Ton von sich zu geben. Hastig lief sie los, um das Harz zu holen.
    Pillpas Baderin lachte. »Du wirst keine Antwort bekommen, Imelda hat das Schweigegelübde abgelegt.«
    Das schockte Animaya. Die Frau wirkte gar nicht wie eine Gesetzesbrecherin.
    Â»Du kennst sie«, flüsterte Pillpa, als die Frau zum Ufer watete. »Das ist die Imelda!«
    Fassungslos sah Animaya ihr nach. Das war die hübsche Imelda? Von ihrer einst so gerühmten Schönheit war nicht viel übrig geblieben. Vor sieben Jahren hatte ihr Fall für große Aufregung gesorgt. Obwohl Jungfrau im heiratsfähigen Alter, war Imelda nicht zum Haremsfest erschienen. Während die Stadt feierte, hatte sie sich im Dschungel versteckt. Mit gemischtem Erfolg: Die Generäle hatten sie nicht auswählen können, aber am folgenden Morgen eingefangen. Für ihr schweres Vergehen musste Imelda bestraft werden. Vor den Augen der gesamten Unterstadt legte sie das Schweigegelübde ab und wurde in die unterste Kaste degradiert. Seitdem hatte sie keine Silbe gesprochen, dafür sorgte Kapnu Singas Zungenbann.
    Pillpa beugte sich zu Animaya hinüber und flüsterte ihr mit bebender Stimme ins Ohr: »Man munkelt, sie habe sich in einen Krokodilreiter verliebt und ihn sogar geküsst.« Diese Art von Geschichten liebte Pillpa besonders – sie waren romantisch und gleichzeitig hoch skandalös.
    Â»Du spinnst ja!«, entfuhr es Animaya. Der Anflug von Mit leid für die Verbannte war augenblicklich verflogen. »Einen Krokodilreiter küssen? Wer sollte das freiwillig tun?«
    Bilder stiegen in ihr auf, blutige Bilder. Mindestens drei dieser Scheusale waren an jenem Abend vor zwei Jahren über ihren Vater hergefallen, so hatten es die Wachen berichtet, die seinen leblosen Körper fanden.
    Sie selbst war noch keinem Krokodilreiter begegnet – Inti sei Dank –, denn wem sich diese Bestien zeigten, der konnte nur noch selten davon erzählen. Das Wasser war ihr Element, hier waren sie allen anderen überlegen. Schlammig musste es sein und faulig riechen, damit ihr strenger Körpergeruch überdeckt wurde. Sie ernährten sich von Aas und fraßen sogar die Leiber ihrer eigenen Brut. So hatte der Lehrer ihnen die Kreaturen beschrieben, und Animaya fand, dass sie noch gut dabei wegkamen.
    Pillpa dachte offenbar nicht an den Vater ihrer Freundin, denn sie kicherte. »Sie sind vielleicht nicht schön mit ihrer grünen Haut«, wisperte sie verschwörerisch, »aber sie sollen so verdammt magisch küssen, dass ihnen jede Frau für immer verfällt …«
    Â»Also bitte!«, schimpfte Animaya. Manchmal übertrieb es Pillpa mit ihren Geschichten. Immer ging es um Küsse oder Schlimmeres, was Männer und Frauen miteinander anstellen konnten. Eigentlich wäre sie jetzt gerne in die Stadt zurückgekehrt, aber die Baderin war noch nicht mit ihr fertig.
    Als Imelda das Harz brachte, schaffte Animaya es nicht einmal mehr, sie anzusehen. Die Gegenwart der Frau war ihr plötzlich äußerst unangenehm. Sie war eine Gesetzesbrecherin. Nur der Großherzigkeit Tupacs war es zu verdanken, dass sie noch der Gemeinschaft dienen durfte.
    Die Baderin zerbröselte das Harz, träufelte aus einem kleinen Flakon duftendes Öl darüber und verrieb es großzügig zwischen den Händen. Dann massierte sie Animaya die Schultern. Die Entspannung kehrte zurück. Aber nur kurz.
    Animaya bemerkte, dass Imelda wenige Schritte von ihr entfernt stehen geblieben war und zu ihr hinüberstarrte.
    Animaya spürte einen sanften Luftzug und legte den Kopf in den Nacken. Über ihr schwebte der rote Kolibri. Doch noch ehe Animaya sich darüber wundern konnte, stürzte Imelda auf sie zu. Mit beiden Händen umklammerte sie Animayas Hals und schüttelte sie, als wollte sie sie aus einem bösen Traum wecken.
    Â»Gloll!«, schnatterte sie. »Hnüff, haram!« Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. In ihrem weit aufgerissenen Mund sah Animaya die Zunge hin und her zappeln, gegen den Bann kämpfen.
    Â»Nimm sie

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