Der blutrote Kolibri
verneigten sich tief, einige warfen sich demütig in den Staub. Als die Sänften im Halbkreis hinter Animaya und ihren Freunden abgestellt worden waren, ertönte ein Krächzen. Anaq, der blutrünstige Kondor, breitete auf dem Mauersims seine Schwingen aus und segelte zu seinem Herrn herunter.
»Jetzt bin ich doch noch etwas Besonderes geworden«, flüsterte Pillpa und die Tränen rannen ihr nur so die Wangen hinunter.
»Du warst immer etwas Besonderes«, antwortete Animaya leise. »Hasse nicht, dann wird dir nichts passieren, auch wenn er dich tötet.«
»Ich werde an meine Geschwister denken«, versprach Pillpa. »Dann kann ich ein Wakâa für sie werden, oder?«
»Gewiss«, antwortete Animaya. Wenn Pillpa bei allem, was sie gleich hören würde, nur nicht ihre Liebe zu den Menschen vergaÃ.
Natan sah traurig zu Animaya herüber und seufzte: »Ach, Sternauge â¦Â«
Da machte ihr Herz einen Satz. »Perlenhaut!«, erwiderte sie sanft. Und in diesem einen Wort lag all ihre Sehnsucht.
Sternauge und Perlenhaut. Wie gut hätte das geklungen. Doch nicht nur sie selbst, auch ihre zarte Liebe war dem Tode geweiht. Wie würde Kapnu Singa sie hinrichten? Alle auf die gleiche Weise oder unterschiedlich â gemessen daran, wen er am meisten hasste? Dann würde Pillpa sicher am wenigsten leiden müssen. Animayas Ende hingegen würde sich qualvoll in die Länge ziehen.
Ihr dämmerte, dass sie allein schon deshalb langsam sterben musste, weil sie Tupac in seiner wahren Gestalt gesehen hatte. Nicht als gottgleichen König, sondern als krankes, gebrechliches Männchen.
Die Goldene Maske würde ihr Bild als Märtyrerin in den Stein meiÃeln. Konnte wenigstens ihr Tod das Volk retten? Wie zur Antwort wurde das milchige Amulett um ihren Hals heiÃ.
Ãffne die Augen! , erklang Wisyas Stimme in ihrem Kopf. Werde, wer du bist! Animaya versuchte, Wisya unter all den Anwesenden zu finden, doch sie konnte die Yatiri nirgends entdecken. Makukus Fohlen ist geboren, Kapnu Singa hat die Geburt verpasst â durch deine Tat. Ãffne die Augen! Ãffne sie! Lass dich von deinen Gefühlen leiten! Wenn du ihnen vertraust, helfen dir die Seelen der Toten.
Animaya schloss die Augen, um sie dann wieder zu öffnen. So wie Wisya gesagt hatte. Sie sah sich auf dem Festplatz um, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Dabei achtete sie auf ihre Gefühle, die Stimmung.
Und da fiel es ihr plötzlich auf: Die Generäle fehlten! Es war kein einziger von ihnen auf dem Festplatz. Sogar die Sänften waren nur von einfachen Kriegern getragen worden, was sonst nie vorkam. Jetzt kannte Animaya den Grund, warum die Hinrichtung so kurzfristig anberaumt worden war.
»Sie fliehen heute«, zischte sie Natan zu. »Während das Volk hier bei uns ist, schaffen die Generäle die gesamten Vorräte aus der Stadt!«
Natan blickte in die Runde, bevor er kaum merklich nickte. »Dann ist Tupac auch nicht in einer der Sänften hinter uns, sondern bereits auf den Lamaguas unterwegs Richtung Süden«, mutmaÃte er. »Die Hinrichtung wird nur inszeniert, um die Menschen abzulenken.«
Animaya nickte. »Allein Kapnu Singa ist noch da, denn sein Fehlen würde allen auffallen. Die anderen Yatiri sind auch nicht hier.«
Das war ihre Chance. Animaya musste den Menschen die Augen öffnen, wie Wisya es am Tag des Haremsfestes bei ihr gemacht hatte. Indem sie das tat, was niemandem erlaubt war: dem Unrecht eine Stimme geben.
Wer laut redet oder lacht, dem wird die Kehle von einem Ohr zum anderen aufgeschlitzt. Denn er schadet seinem Volk, weil er es an die Feinde verrät.
»Volk von Paititi!«
Die Menschen zuckten zusammen. Es war nicht Kapnu Singa, der da zu ihnen sprach. Auch nicht Tupac aus seiner Sänfte heraus. Es war Animaya.
»Eine Katastrophe steht kurz bevor, wir alle werden vernichtet werden. Kapnu Singa weià es. Tupac und die Adeligen wollen fliehen, euch zurücklassen!«
Die Ãberraschung stand Kapnu Singa ins Gesicht geschrieben. AuÃer sich vor Wut blähte er die Nasenflügel auf. Animaya las in seinen schwarzen Augen, dass er sich kaum noch beherrschen konnte. Sie musste das Volk für sich gewinnen. Und dabei würde ihr Kapnu Singa mit seiner Brutalität unfreiwillig helfen.
Der Plan schien aufzugehen, denn mit zwei Schritten war er bei ihr.
»Schweig oder ich töte dich
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