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Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Titel: Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund Fellinger
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nicht die Absicht, sie in absehbarer Zeit aus dem Feuer herauszuziehn.
    Die letzten vierzehn Tage hat es kindische Abwechslung gegeben. In Wien wird eine vor 10 Jahren nach meinem Libretto entstandene Oper bei den Festwochen im Theater an der Wien aufgeführt. Ärger gabs und Rücksicht auf den Komponisten. Eine gute poetische Sache vor die Säue geworfen. Ich fahre zur Premiere am 18. Juni nicht hin, weil ich keinen heissen Kopf brauche, usf., usf. 3
    Nächste Woche, am 23., bin ich in München, um zwei Dutzend Seminararbeiten über »Amras« an der Universität zu kommentieren. Aufeinmal freut es mich, mich den Jungen zum Frass vorzuwerfen. Leider wird man heutzutage nicht aufgefressen, im Gegenteil usf. Ich habe eine Vorliebe für das »usf.« . . .
    Am 6. Juli bin ich in Berlin, am 7. wieder zurück. Ich werde ein Stück aus dem Roman vorlesen, zusammen mit Herrn Bichsel aus der Schweiz in der Akademie der (schönen?) Künste. 4 Ich tus, weil es mir eine kostenlose Abwechslung verschafft, die ich von Zeit zu Zeit notwendig brauche. Am liebsten würde ich ja, wenn ich nicht schreiben müsste, dauernd herumfahren und überhaupt nichts tun. Das wäre meine einzige Vorliebe. Mich gehenlassen, dazu aber ist die Welt nicht gut genug . . . weil sie gut genug wäre .
    Ich habe vergessen: ich fahre schon am 22. früh nach München, weil ich bei dem Geburtstagsessen für Wolfgang Koeppen, das Herr Breitbach in den Maximiliansstuben arrangiert, dabeisein will, ich glaube, es ist um 8 Uhr am Abend. 5
    Und es wird nicht möglich sein, Sie zu sehen?
    Alle jemals geschriebenen Briefe sind, in dem tiefen Grunde der eigenen und der allgemeinen Anschauung der Welt usf. nichts als grausige Koketterien.
    Und noch eine: der grösste Irrtum ist der, zu glauben, dass man nicht existiert, wenn man nicht schreibt.
    Es ist jetzt, glaube ich, vier Wochen, seit ich Ihre Zeilen – bessere habe ich nicht erwarten können – bekommen habe. Mich zu bedanken fällt mir schon wieder schwer.
    Herzlich Ihr
    Thomas B.

    P. S.: Wieland Schmied war da und hat mir aus einem Buch »Ein Flug mit Ben Nicholson und andere Impressionen« ein ausgezeichnetes, gescheites unterhaltsames Stück vorgelesen – wäre das nichts für die edition?
    1   Th. B. wohnt während der Überarbeitung von Frost im Dezember 1962 sowie während der Buchmesse im Oktober des Jahres 1963 in der Frankfurter Pension Reschke, Oederweg 29.
    2   Th. B. wird erst 1968 als Besitzer des Vierkanthofs in das Grundbuch eingetragen.
    3   Am 18. Juni 1966 findet im Rahmen der Wiener Festwochen im Theater an der Wien in der Veranstaltungsreihe »Musiktheater im Nachtstudio« um 23 Uhr, wie das gedruckte Programm vermerkt, eine »Uraufführung« statt: » desperato . Text: Thomas Bernhard (2. Satz aus ›die rosen der einöde‹). Musik: Gerhard Lampersberg«. Es wirken mit: Hilde Zadek, Herbert Prikopa, das Kammerorchester des Österreichischen Rundfunks Wien, Choreinstudierung: Gottfried Preinfalk. Laut Programmheft bezeichnet Gerhard Lampersberg die 1958 entstandene Vertonung von die rosen der einöde. fünf sätze für ballett, stimmen und orchester (als Buch 1959 erschienen) als sein »Hauptwerk«. Text, Entstehungs- und Publikationsgeschichte von rosen der einöde finden sich in Th. B.: Werke 15 , S. 10-51, sowie S. 428-434.
    4   Die Veranstaltung in der Westberliner Akademie der Künste am 7. Juli 1966, 20.00 Uhr, trägt den Titel »Junge Generation«. Neben Th. B. und Peter Bichsel lesen Rudolf Dederer und Bernward Vesper.
    5   Am 22. Juni 1966, 20.00 Uhr, lädt Joseph Breitbach Freunde von Wolfgang Koeppen anläßlich dessen 60. Geburtstags zu einem Abendessen in die Münchner Maximilianstuben. Anwesend sind neben Th. B. u. a. Tankred Dorst, Christian Enzensberger und Werner Vordtriede. Am 23. Juni nimmt Th. B. am von Werner Vordtriede geleiteten Seminar Kritisches Verständnis moderner Lyrik und Prosa im Sommersemester 1966 (jeweils Donnerstags von 14.00 bis 16.00 Uhr) teil. Seinen Eindruck vom Seminar teilt Th. B. am 28. Juni 1966 in einem Brief Joseph Breitbach mit: »Leider hat sich mein Auftreten in der Universität zu einem kaum amüsanten entwickelt und die Lustlosigkeit, die Verachtung vielmehr für das Seziertum in den Operationssälen der Literatur hat sich wohl sofort auf die mir Gegenübersitzenden übertragen. [. . .] Die Generation nach mir, die zehn Jahre Jüngeren auf den Universitäten empfinde ich arm im Geiste und

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