Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
und ich vernahm auch schon, daß Ihnen das Äußere gefällt. 1 Nun, wir haben getan, was wir konnten, um die negative Wirkung des Titels durch einen attraktiven Umschlag zu neutralisieren. Ich habe vorgestern mit zwei intelligenten Buchhändlerinnen gesprochen, die das Buch schon gelesen haben. Ihre erste Reaktion: ein sehr schöner dichterischer Text, aber warum dieser Titel! In diesem Augenblick habe ich es doch wieder bedauert, nachgegeben zu haben. Nun, ich werde älter, der Starrsinn wird auch bei mir wachsen! Wir haben 4000 Exemplare gedruckt, also das 1. bis 4. Tausend, Ladenpreis DM 16,80. Ihr Honorar beträgt 10%, Ihre Freiexemplare 40 Stück. Bitte, verfügen Sie darüber.
Die erste sehr freundliche Besprechung von Günter Blöcker im Rundfunk ist erschienen. Wenn es noch weitere solche kritische Stimmen geben wird, dann sollte dies dem Buch sehr helfen. 2
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Siegfried Unseld
1 Anneliese Botond kündigt Th. B. in einem handschriftlichen Brief vom 10. März 1967 die Zusendung eines ersten Exemplars von Verstörung für eine Woche später an. Das Buch erscheint am 15. März 1967 im Insel Verlag.
2 Günter Blöcker stellt Verstörung am Sonntag, dem 12. März 1967, im Deutschlandfunk in der Sendereihe »Bücher im Gespräch« zwischen 15.45 und 16.00 Uhr vor. Der gesprochene Text ist die leicht gekürzte Fassung der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 25. März 1967 unter dem Titel Geometrie der Leiden gedruckten Rezension. Dort heißt es: »Über alle diese Verdienste hinaus aber ist als das Seltenste und Kostbarste an diesem sein tiefer Ernst zu rühmen. Hier wird, mit dichterischen Mitteln, das betrieben, was der Vater des Ich-Erzählers von der Medizin verlangt, nämlich ›Ursachenforschung‹. Weder soziologisch illuminierter Optimismus, der von nichts wissen will und sich deshalb gar für besonders realistisch hält, noch Rückzug in einen Ästhetizismus, der die menschlichen Grundwahrheiten in ›schwarzen Humor‹ umwechselt, um sie auf solche Art wohlfeil zu erledigen, sondern das gelassene Ergründen dessen, was die Natur in uns ausgesät hat, und die Ehrfurcht davor.«
[32; Anschrift: 〈Ohlsdorf〉]
Frankfurt am Main
27. April 1967
Lieber Herr Bernhard,
ich komme heute mit einer Bitte zu Ihnen. Wir müssen etwas für die sammlung insel tun und hatten die Idee, einen Prospekt zu erarbeiten, in dem »Autoren von Rang« über die sammlung insel berichten. Wäre es möglich, daß Sie mir ein paar Zeilen über einen Band, über zwei Bände oder über das ganze Unternehmen oder seine Tendenz schreiben? Ich wäre Ihnen sehr dankbar.
Schönste Grüße
Ihr
Siegfried Unseld
[33; Anschrift: 〈Ohlsdorf〉]
Frankfurt am Main
8. Mai 1967
Lieber Herr Bernhard,
nur eine Zeile: Lassen Sie sich von den Kritiken nicht beirren, so wenig wie ich mir dies gestatte. Daß es Einwände gegenüber der »Verstörung« geben wird, war uns beiden ja klar, wenn ich auch das Ausmaß der Ablehnung von Reich-Ranicki und Eisenreich nicht ganz verständlich finde. Aber lassen wir den Kritikern ihren Übermut. Die Hauptsache ist, daß Sie sich davon nicht beeindrucken lassen. |Mein Glaube an Sie als Autor ist unerschüttert.| 1
Schönste Grüße
Ihr
Siegfried Unseld
1 In Marcel Reich-Ranickis Besprechung von Verstörung ( Konfessionen eines Besessenen , in: Die Zeit , 28. April 1967) heißt es etwa: »Bernhard ist, ob er es will oder nicht, ein österreichischer Heimatdichter, den freilich weniger Liebe oder Innerlichkeit über das Leben in Tirol oder in den Tälern der Steiermark schreiben lassen als Wut und Ekel, wenn nicht gar Haß. [. . .] Seine Einseitigkeit mutet bald kühn und bald simpel an. Sie ermöglicht zwar die Härte und die Besonderheit dieser Epik, aber leider setzt sie ihr auch enge Grenzen und bewirkt nicht selten ihre Monotonie. [. . .] Das neue Buch, der Roman ›Verstörung‹, läßt dies mit fast erschreckender Deutlichkeit erkennen.« Herbert Eisenreichs Rezension von Verstörung ( Irrsinn im Alpenland , in: Der Spiegel , 1. Mai 1967, S. 164f.) enthält u. a. die Sätze: »Mit Thomas Bernhard ist inmitten der dezidiert urbanen Literatur wieder einmal der Urwald ausgebrochen. [. . .] Kurzum: Keine Handlung, keine Distanz, kein Kontrapunkt – das sind die drei Aspekte des einen Sachverhalts: keine Wahrheit. Eines Sachverhalts, der zwar der ganzen gegenstandslosen (und deshalb sich, irrtümlich, für modern
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