Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
Ich freue mich also, bis Ende August, spätestens im September mit dem Manuskript rechnen zu können. Wir wollen es dann sorgsam herstellen und ebenso sorgsam im Frühjahr mit Leseexemplaren etc. lancieren.
Seien Sie ohne Sorge, ich habe Verständnis für Ihre Situation, Sympathie für Sie, und der Kalender des Autors ist mir immer wichtiger als der eigene.
Auf eine Bemerkung Ihres Briefes möchte ich zurückkommen: Sie schreiben, daß Sie das Geld »so gut angelegt haben«. Da die Rückzahlung nicht in der vorgesehenen Form erfolgen kann, hatten Sie damals angeboten, für den Verlag eine Hypothek auf das Haus einzutragen. Mir war dieser Punkt nicht sonderlich wichtig, und er ist es auch heute noch nicht, nur wundere ich mich, daß Sie auf diesen Punkt von sich aus nicht mehr zurückgekommen sind.
Wie sehen Ihre Sommerpläne aus? – nun, Sie werden an der Arbeit bleiben. Sollten Sie doch einmal in die Nähe von München kommen, so lassen Sie es mich wissen, vielleicht könnten wir uns dann sehen.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Siegfried Unseld
1 S. U. ist zwischen dem 20. April und dem 4. Mai 1966 in den USA, zunächst bei der Tagung der Gruppe 47 an der Princeton University, anschließend in New York, um amerikanische Verleger und Agenten zu treffen.
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Ohlsdorf
14. 6. 66
Lieber Herr Dr. Unseld,
der Schweigende tut gut daran von Zeit zu Zeit seine Umgebung darüber aufzuklären, dass er überhaupt nicht geheimnisvoll ist. Was mich betrifft, so exerziere ich der Welt und mir selber die gewöhnlichste Alltäglichkeit vor, mit der allein ich vorwärts komme, davon abgesehen, dass es das Vorwärtskommen nicht gibt, dass das Fundament, auf dem wir wahrnehmen, sehen usf. gar nicht existiert, dass, wenn überhaupt etwas existiert, nur ein Unsinn allen Unsinns existiert. Darin besteht der Reiz, dass die Leute sagen, in dem völligen Unsinn allen Unsinns erkenne ich mich. Das bedeutet für den Grossteil der Geschöpfe die grösste Trostlosigkeit. Aber mein Leben ist nicht trostlos, Ihr eigenes ist es auch nicht. Der Denkende ist die Rarität, die Denkenden sind die Raritäten. Das ununterbrochene Denken verhindert, dass die Raritäten nichts sind als Antiquitäten. Dazu gehört, dass die Gegenwart völlig unsichtbar ist, alles Sichtbare ist, natürlich auf der Vorzugsschülerebene, Geschichte. Was wir erkennen, ist bereits Geschichte. Die Gegenwart ist, was eigentlich noch nicht ist, die Zukunft das, was nicht ist usf. . . . Ich entlasse Sie!
Jetzt habe ich keinen Grund mehr, den Roman noch einmal hinauszuzögern, denn die Herbstrennen sind, wenn mein Buch im Frühjahr herauskommt, vorbei. Erschöpfte Pferde, erschöpfte Reiter, keine einzige aufgegangene Rechnung usf. . . . Im August werde ich dann also doch in meiner Pension in Frankfurt sein. 1 Ich habe den Lärm dort gern, er reizt meine Nerven auf förderlichste.
Zu Ihren Fragen:
1. Das Buch ist soweit fertig. Ich fahre im August damit in die Höhle (Hölle?) des Löwen hinaus und hinunter.
2. Ich habe im Herbst einen editionband »Attaché an der französischen Botschaft«, neun Erzählungen bzw. Prosastücke veröffentlichen wollen; wann habe ich sie abzuschicken, wenn es nicht überhaupt zu spät ist, da ich bis jetzt keine diesbezügliche Aufforderung bekommen habe. Persönlich lege ich grossen Wert darauf.
3. Nach dem Roman möchte ich das Theaterstück neuschreiben in einem Anlauf, es ist in der jetzigen Form noch nicht mein eigenes und ich bin völlig unzufrieden damit. Ist Herr Braun daran interessiert?
4. Die Bezirksgerichtsmühlen mahlen in Österreich so langsam, dass bis heute die Grundbucheintragung nicht geschehen ist, also konnte ich die Hypothek auf mein Haus, selbst wenn ichs wollte, nicht drauflegen. 2 Vorderhand genügt der von mir unterschriebene Brief vom Vorjahr, in dem ich den Erhalt von DM 25.000,- bzw. DM 15.000,- bestätigt habe. Im Ernstfall genügen auch die jetzigen Zeilen, in welchen ich sage, dass ich den Betrag dem Verlag schulde. (Aber ich hoffe immer noch, dass es aus irgendwelchen, aufeinmal doch geheimnisvollen Gründen, zu keiner Hypothekenauflage kommt, ich könnte ja doch was verdienen.)
Dass ich ein armer Hund wäre ohne Sie, ist mir, und wenn auch nur in meinem ausserschriftstellerischen Unterbewusstsein, tagtäglich bewusst. Ich lege schon so lange meine linke (mit der rechten schreibe ich) Hand für Sie ins Feuer, dass sie eigentlich schon längst verbrannt sein müsste. Ich habe
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