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Der Bronzehändler

Der Bronzehändler

Titel: Der Bronzehändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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und Lächeln geseiht, Wehgeschrei und Worte fremder Sprachen, funkelnd durch Sternenschein und Mondlicht, durchdrungen vom Glanz der Sonne, Rê-Harachtes Gestirn, und sämig gerührt durch das, was ich weiß und woran ich mich erinnere. Ohne Unrast schreibe ich in der Stille meiner Wohnung über Götter, Menschen und Jahre.

    Merire-Hatchetef fuhr über seinen kahlen Schädel, zog die Rolle behutsam auseinander und trug sie hinaus ins letzte Sonnenlicht. Er hielt sie dicht vor die Augen und las blinzelnd, was Prinzessin Tama-Hathor-Merit geschrieben hatte; er murmelte:

    »Im milden, weihrauchdurchzogenen Licht deines vierten Jahrzehnts, Priesterschreiber, tut es gut, sich zu erinnern, zu lesen, was die jungen Leute über die wunderbaren Jahre dachten, was sie fühlten. Ach, schönste Tamahat; auch du bist Asche und Staub im Land der Lebenden, und vielleicht begegnet deine Sternenbarke dem Schiff deines Geliebten.« Er kicherte und ließ das rechte Ende des Blattes los. Es drehte sich knisternd nach links zur Rolle zusammen. »Deinem grünäugigen Geliebten meinem Freund, der auch eine gute Handvoll Jahre älter geworden ist.« Das Äffchen kreischte und entleerte wässrigbraunen Darminhalt über die Statue. Merire-Hatchetef senkte den Kopf und murmelte: »O Prinzessin. Es ist schön, was du über ihn schriebst.«
    Seine Stimme sank zu einem Murmeln herab, als er weiterlas. »Wenn es wirklich eine Zeit der Wunder werden soll, so ist das Wunder für mich groß und schön. Ein Teil der Macht, die mein göttlicher Bruder mit dem Thronnamen Chakaura in den Händen hält, strömt auch zu mir und durch mich zu anderen Menschen und Dingen. Niemals habe ich einen Mann länger und schärferen Blicks angesehen als den elternlosen Karidon mit den leuchtenden grünen Augen. Er ist schön, obwohl er kein Rômet ist. Stärke, Kraft und Zärtlichkeit sprechen aus jeder Bewegung. Sein Lachen ist der Bruder seiner Kraft. Sein helles braunes Haar ist weich und kurz, seine Wangen glatt und nicht mit struppigen Bart bedeckt wie jene seines polternden Ziehvaters; Klugheit der Rede und Schreibkunst lernte er zusammen mit den Gefährten meines Halbbruders, des Großen Senwosret-Chakaura. Karidon, der mehr fremde Länder und Menschen kennt als wir Rômet, scheint lange zu denken, bevor er spricht, aber seine Küsse und die Erfahrung seiner schlanken Finger erregen mich mehr und tiefer als je ein Mann zuvor. Ich ließ meine Macht sprechen und befahl ihn in den Palast, auf mein Lager; nun zeige ich ihm, was er nie mit anderen Frauen erleben wird. In der Leidenschaft ist er ebenso unermüdlich wie in Stunden des Sturms am Ruder des Schiffes; seine Erzählungen zaubern fremde Inseln in die Langeweile des Palastes und dienen Chakaura dazu, alles über die Feinde jenseits der Grenzen zu erfahren. Wie seine Geschichten, sein Lächeln und der Geruch seines starken Körpers – nach Keftis Sänden, nach dem Schweiß des Schiffes, nach Bilge und langen Nächten auf See, unter den Sternen – füllt sein Begehren, mächtig wie der Apisstier immer und immer wieder mich und meine Nächte aus. Er liebt mich; wenn er von seiner verlorenen, mühsam erstickten Freundschaft erzählt, dunkeln seine Augen wie das Wasser des Großen Grünen im sonnenlosen Sturm: Mein Halbbruder Chakaura, den wir als Jungen Senwosret riefen, ist jener Freund, der nicht Freund sein darf, weil er Gott sein wird. Ich will ihn mit meiner Leidenschaft trösten, den Grünäugigen; mein Herz ist mit Freude gesättigt, wenn wir zusammen sind, es ist wie Wein, seiner Stimme zu lauschen. Ich lebe, weil ich dich und alles, was du aus fremden Ländern berichtest, höre und sehe – was Chakaura nicht darf, ich will und kann es tun; alles.«

    Fünfzehn große Öllampen standen entlang der Tischkanten. Ihre Flammen brannten ruhig und grell. Merire-Hatchetef schrieb so sorgfältig wie stets im letzten Jahrzehnt.

    Nicht nur das, was ich sah, erlebte und verstand, schreibe ich selbst mit zwei Fingern, sondern auch manches, was mir von Händlern und Freunden, Kriegern und Kush-Sklaven erzählt wurde. Ich habe ihr Vertrauen. Wie es wirklich war, erfuhr und beurteilte jeder anders. Aber mit mir sprachen sie alle, viel später mit ruhigen Worten, jenseits der heißen Erregung der Geschehnisse, denn je älter der Mensch wird, desto genauer erinnert er sich an die Erlebnisse in seiner Jugend, und desto klarer wird seine Rede. Um mich herum, in Mauernischen meiner Tempelkammer, stehen Tonkrüge

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