Archer, Jeffrey
PROLOG
»Präsidentin der Vereinigten Staaten«, sagte sie.
»Ich wüßte bessere Möglichkeiten, mich kaputtzu-machen«, erklärte ihr Vater, während er die Halbbrille von der Nase nahm und die Tochter über die Zeitung hinweg ansah.
»Sei nicht frivol, Papa. Präsident Roosevelt hat uns bewiesen, daß es keine größere Aufgabe gibt als den Dienst am Staat.«
»Das einzige, was Roosevelt bewies …«, setzte ihr Vater an. Dann hielt er inne und wandte sich, überzeugt, daß seine Tochter die Bemerkung leichtfertig finden würde, wieder der Zeitung zu.
Als wüßte sie nur zu genau, was in ihrem Vater vorging, fuhr das Mädchen fort: »Es ist mir klar, daß es für mich hoffnungslos wäre, ein solches Ziel ohne deine Unterstützung anzustreben. Daß ich eine Frau bin, ist schon ein Handikap, gar nicht zu reden von meiner polnischen Abstammung.«
Die Zeitung wurde abrupt beiseite geschoben. »Sag nie etwas Illoyales über die Polen«, sagte der Vater. »Die Geschichte hat bewiesen, daß wir ein ehrenwertes Volk sind, das stets sein Wort hält. Mein Vater war ein Baron…«
»Ja, ich weiß, und auch mein Großvater. Aber er ist nicht mehr auf der Welt und kann mir daher nicht helfen, Präsidentin zu werden.«
»Leider Gottes«, erwiderte der Vater seufzend, »er wäre ohne Zweifel ein großer Führer unseres Volkes geworden.«
»Warum soll seine Enkelin es dann nicht versuchen?«
»Ich hab nichts dagegen.«
Der Vater sah in die stahlgrauen Augen seines einzigen Kindes.
»Du wirst mir also helfen, Papa? Ohne deine finanzielle Unterstützung habe ich keine Chance.«
Der Vater zögerte, setzte die Brille wieder auf die Nasenspitze und faltete die Chicago Tribune zusammen.
»Ich werde mit dir ein Abkommen schließen, mein Liebes; das ist ja in der Politik so üblich. Sollte der Ausgang der Vorwahlen in New Hampshire zufriedenstellend sein, werde ich dich hundertprozentig unterstützen. Wenn nicht, mußt du den Gedanken aufgeben.«
»Was verstehst du unter zufriedenstellend?« kam blitzartig die Gegenfrage.
Wieder zögerte der Mann und überlegte. »Wenn du die Vorwahl gewinnst oder mehr als dreißig Prozent der Stimmen bekommst, hast du meine volle Unterstützung bis zum Parteitag – selbst wenn das meinen Bankrott bedeuten sollte.«
Zum erstenmal seit Gesprächsbeginn entspannte sich das Mädchen. »Ich danke dir, Papa. Mehr kann ich nicht erwarten.«
»Nein, bestimmt nicht«, erwiderte er. »Darf ich jetzt herausfinden, wieso die Cubs das siebente Meisterschafts-spiel gegen die Tigers verloren haben?«
»Ohne Zweifel war ihre Mannschaft schwächer, wie das Resultat von 9:3 zeigt.«
»Junge Dame, du kannst dir einbilden, ein wenig von Politik zu verstehen, aber ich versichere dir, daß du absolut nichts von Baseball verstehst«, sagte der Vater, als sich die Tür öffnete und seine Frau eintrat. Er wandte ihr seine massige Gestalt zu. »Unsere Tochter möchte Präsidentin der Vereinigten Staaten werden. Was hältst du davon?«
Das Mädchen sah sie erwartungsvoll an.
»Ich will dir sagen, was ich davon halte«, erklärte die Mutter. »Ich glaube, es ist höchste Zeit schlafen zugehen, und es ist deine Schuld, wenn das Kind noch nicht im Bett liegt.«
»Vermutlich hast du recht«, sagte er. »Marsch ins Bett, Kleines.«
Sie küßte den Vater auf die Wange und flüsterte:
»Danke, Papa.«
Die Augen des Mannes folgten seiner elfjährigen Tochter, als sie das Zimmer verließ; die Finger ihrer Rechten waren zu einer Faust geballt; das machte sie immer, wenn sie ärgerlich war oder festentschlossen. Vermutlich war sie im Augenblick beides, aber er wußte, es hatte keinen Sinn, seiner Frau zu erklären, daß ihr einziges Kind kein gewöhnliches Kind war. Schon längst hatte er es aufgegeben, seine Frau an seinen hochfliegenden Plänen teilhaben zu lassen aber wenigstens war sie nicht imstande, den Ehrgeiz der Tochter zu dämpfen. Er wandte sich wieder den Cubs zu und mußte feststellen, daß das Urteil seiner Tochter sogar in diesem Fall zutraf.
Zweiundzwanzig Jahre lang erwähnte Florentyna Rosnovski dieses Gespräch nicht mehr, doch als sie es dann tat, nahm sie es als selbstverständlich an, daß ihr Vater die Abmachung einhalten würde. Schließlich sind die Polen ein ehrenwertes Volk, das stets Wort hält.
DIE VERGANGENHEIT
1934-1968
1
Die Geburt war nicht leicht, aber letztlich war für Abel und Zaphia Rosnovski nie etwas leicht gewesen, und auf ihre Art hatten sie sich damit abgefunden.
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