Der Bürohengst (Finn Falkner Reihe)
Klebeband, das hat eindeutig Ähnlichkeit mit einem Kopf, Hals und Rumpf! Mehr kann ich nicht sehen, nur, dass es hinter dem Beschlag noch weitergeht. Ein ziemlich großer Gegenstand – und schwer …
Schließlich taucht Marco wieder auf und ich ziehe mich hinter die Ecke zurück. Gebannt lausche ich dem Rascheln von Folie. Das ist zu viel! Ich bin mir jetzt ganz sicher! Marco ist gerade in diesem Moment dabei, eine Leiche einzupacken. Doppelt, damit es nicht mehr so stinkt, dass seine Nachbarin irgendwann jemanden informiert. Aber wen sollte Marco einpacken? Sören? Oder tatsächlich – Lukas?
Ich schüttle den Kopf. Nein, das ist Quatsch! Ich bin mir sicher, dass es eine vernünftige Erklärung gibt. Das kann nicht sein!
Aber wenn …
Nein!
Plötzlich piept mein Handy. Die Akku-Warnung! Wie versteinert stehe ich da – und mindestens genauso schwer. Verdammt, wie ich Samsung hasse! Ständig diese schwachsinnige Warnung, die sich nicht unterbinden lässt! Marco muss wohl ein paar Meter weiter ähnlich innehalten und lauschen. Mein Herz droht mir jeden Moment aus dem Mund springen zu wollen. Ich höre nichts anderes, als das wilde Klopfen meines eigenen Blutdrucks im Ohr.
Plötzlich raschelt die Plane. Ein Schritt! Ein Zweiter!
Mit einem Mal explodiert mein Körper vor Energie. Die nächsten drei Schritte, die ich höre, sind meine eigenen. Dann bin ich oben. Gerade rechtzeitig verschwinde ich aus dem Türrahmen, als auch schon der Lichtkegel von Marcos Taschenlampe an die gegenüberliegende Wand geworfen wird.
Ich halte mir die Hand auf den Mund. Ich habe Angst, dass ich jeden Moment losschreien könnte. Und ich weiß mit Sicherheit, dass da irgendwer unten im Keller liegt – tot. Ich weiß, dass Marco ein Mörder ist. Ein bisschen habe ich das schon die ganze Zeit gewusst. Ich habe es in seinen Augen gesehen, als wir allein im Seminarraum waren. Ich habe es vorhin gesehen. All die Lügen! Er hat mir Lügen aufgetischt, mich manipuliert, damit ich ihm nicht zu nahe komme. Mein Gefühl lag richtig!
Plötzlich stoße ich mit dem Rücken gegen eine Wand. Ohne es zu merken, bin ich Schritt für Schritt zurückgewichen, die Ohren gebannt auf Geräusche von unten gerichtet. Jetzt zucke ich zusammen. Meine Hand greift zur Seite und neben mir klingelt es. Gleichzeitig geht das Licht im Treppenhaus an. Meine rechte Hand erstickt den Schrei einigermaßen, aber nicht ganz. Ich erwarte, Marco vor mir zu sehen, aber der Flur ist leer. Ich selbst bin gegen die Schalter gekommen. Nun hab ich doch noch bei der Nachbarin geklingelt!
Ich höre Schritte! Von innerhalb der Wohnung, aber auch von der Kellertreppe her. Ich könnte warten, bis die Nachbarin die Tür aufmacht, und zu ihr in die Wohnung stürmen. Allerdings wird sie sich wehren! Sie weiß ja nicht, dass ihr Nachbar ein Mörder ist! Die Haustür jedenfalls ist verschlossen! Ich bin gefangen!
Ohne zu überlegen, springe ich mit drei weiteren Schritten die Treppe hinauf.
„Hallo?“ Das ist Marcos Stimme. Ich sehe gerade noch ein Stück von seiner Schulter durch das Geländer, als ich auf den Treppenabsatz komme und sofort die nächsten Stufen in Angriff nehme.
Ich höre unten einen Schlüssel im Schloss und das Klappern einer Kette. Dann geht die Tür auf.
„Hallo?“, fragt Marco noch mal.
„Hallo?“, antwortet die Nachbarin. „Was wollen Sie jetzt noch?“
Marco klingt so, als stehe er mitten im Flur. „Hallo, ich will nichts, ich …“
„Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist? Allmählich reicht es mir mit Ihnen!“
„Entschuldigen Sie, ich dachte …“
Die Nachbarin schreit fast. „Herr Kehlmann, wenn Sie sich nicht langsam an die Regeln halten, werde ich mich beim Vermieter über sie beschweren!“ Dann kracht die Tür ins Schloss.
Ich stehe schwer atmend vor Marcos Wohnungstür. Er hat sie tatsächlich nur angelehnt. Ich überlege, ob ich reingehen soll. Aber dann sitze ich noch mehr in der Falle, als ohnehin schon. Lieber weiter hoch!
Doch gerade, als ich die Treppe hinaufflüchten will, höre ich von oben ebenfalls Schritte. Wahrscheinlich ist man es in diesem Haus nicht gewohnt, dass zur Abendzeit im Treppenhaus rumgestritten wird. Damit fällt der Fluchtweg schon mal weg. Allerdings ist es mir nur recht, wenn ein weiterer Nachbar ins Spiel kommt. Je mehr Unruhe im Haus herrscht, desto weniger wird Marco auf die Idee kommen, dass ich dafür verantwortlich bin.
Also husche ich doch in die Wohnung. Im Rücken habe ich die
Weitere Kostenlose Bücher