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Der Bund der Illusionisten 1

Der Bund der Illusionisten 1

Titel: Der Bund der Illusionisten 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larke Glenda
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im Gebäude gegenüber zu nehmen, würde ich ziemlich sicher die Freunde aus meinen Kindertagen treffen. Die meisten von ihnen waren jetzt müßige junge Matronen, die im Gegensatz zu mir mehr darauf aus waren, den Legionsoffizieren im Massageraum zuzusehen, als schwimmen zu gehen. Schlenderte ich den Marktgang entlang, konnte ich Früchte aus Altan kaufen, oder Eis von den Apenaden, oder einen sprechenden Vogel aus Pythia im Westen. Jaspis oder Jade, Seide oder Sackleinen, Pfefferkörner oder Fasanenleber: In Tyr ging der Spruch, dass man an den Ständen des Marktgangs alles kaufen konnte, was es wert war gekauft zu werden.
    Rechter Hand von mir, auf der anderen Seite des Platzes und gegenüber von den Bädern, befand sich der bogenförmige Eingang zu den Räumen der Ratskammer. Diese wurden jetzt für Spiele genutzt, seit der Exaltarch seine widerspenstigen Berater entlassen und nicht wieder zurückberufen hatte. Dahinter erstreckte sich die gepflasterte Gasse, die zur Sommerbühne führte; dort hatte ich vor zwei Wochen gesehen, wie Merius sich mit seinem kraftvollen Porträt des manipulativen Zestus unsterblich machte. Zestus hatte mit seiner befleckten Liebe zu seiner Schwester Caprice das junge Tyr beinahe zum Untergang verdammt; sein Name war zu einem Synonym für die Perversion des Inzests geworden.
    Ich sah jetzt nach links, zur Akademie hinüber. Als Bürgerin von Tyrans hatte ich häufig das Vorrecht genossen, mir die Debatten der Gelehrten anzuhören. Ein Gelehrter der Akademie hatte sich von meinem siebten bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr um meine Erziehung und Bildung gekümmert, ein Privileg, das nicht vielen Mädchen zuteilwurde. Manchmal fragte ich mich, wieso mein Vater mir meine formale Ausbildung nicht nur gestattet, sondern mich sogar dazu ermutigt hatte, während er doch sonst eher dazu neigte, geringschätzig vom » Platz einer Frau« zu sprechen. » Du hast einen Verstand, Ligea«, hatte er immer gesagt. » Benutze ihn. Lerne, dich auf ihn zu verlassen. Deine Gefühle sind die einer Frau: dumm, unzuverlässig und beherrscht vom Herzen. Ignoriere diese Dummheiten. Das Herz ist die Quelle der schlechten Entscheidungen; der Verstand ist es, der die Siege schmiedet.« Ich lächelte in mich hinein: Ich konnte immer noch hören, wie er seinen strengen Ton bewusst etwas milderte, wenn er mit mir sprach. Andere hatten General Gayed vielleicht gefürchtet– den Mann, den sie den Winterleoparden nannten, nachdem er während der Schneeperiode die aufsässigen Stämme im Wald von Valur nordwestlich von uns besiegt hatte. Ich hatte nie Angst vor ihm gehabt. Er mochte mir gegenüber intolerant bis zur Unsinnigkeit gewesen sein, aber er war immer gütig.
    Ich blieb auf den Stufen stehen und ließ zu, dass die Erinnerungen an ihn in mir aufstiegen. Die Trauer, die ich spürte, war eine Schwäche, für einen Kameraden der Bruderschaft unangemessen. Das kümmerte mich jedoch nicht. Ich beschloss, sein Grab am anderen Ende des Forums aufzusuchen und sein Andenken zu ehren. Es war ein langer Weg bis dorthin, aber ich wollte ihn gehen. Ich schätze, in gewisser Hinsicht war es Masochismus, aber nicht wegen des Ortes, den ich aufsuchte, sondern weil mich alles, was ich auf dem Weg dorthin sehen würde, an den zukünftigen Verlust erinnern würde. Und doch wollte ich diese Erinnerungen haben, wollte ich das Wesen all dieser Symbole von Tyr in mich aufnehmen. Es waren ja nicht nur Gebäude; es gab auch den Handel, das Lernen, das Rechtssystem, den Sport, die Religion, die Künste: Für all diese Dinge stand Tyr. Wir waren ein kultiviertes, gebildetes Volk, das sowohl den menschlichen Intellekt achtete als auch den menschlichen Körper.
    Und Kardiastan? In Kardiastan war die Erde so unfruchtbar wie sein kulturelles Erbe.
    Wie würde ich das alles nur ertragen können?
    Mögest du verflucht sein, Rathrox.
    Der Tempel des Forum Publicum war zu Ehren der Göttin Melete errichtet worden. Andere öffentliche Gebäude mochten imposant sein, sogar anmutig, aber der Tempel war sicher eines der lieblichsten Gebäude, die die Menschheit jemals gesehen hatte. Das Dach schwebte über nebeneinander stehenden anmutigen Karyatiden, die jeweils ein Abbild der Göttin in einer bestimmten Stimmung darstellten. Die Giebel und das Traufgesims waren mit farbenfrohen Friesen und Skulpturen geschmückt,

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