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Der Bund der Illusionisten 1

Der Bund der Illusionisten 1

Titel: Der Bund der Illusionisten 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larke Glenda
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das Orakel.« Dann zeigte sie auf ein bleiches, junges Mädchen, das vor der Mauer saß. » Esme, die Auserwählte des Orakels, wird seine Worte für Euch deuten.«
    Esme, so schön wie eine Karyatide und auch fast genauso leblos, sah mich nicht an. Ihre Augen waren weit geöffnet und ausdruckslos; ihr Körper schwankte leicht hin und her. Hinter ihr hockte etwas, und ich hörte Gemurmel, aber ich konnte nicht genau erkennen, ob es sich um ein lebendiges Wesen oder nur eine Felsformation handelte. Die Droge hatte meinen Geist benebelt und meine Sinne so weit verwirrt, dass ich meine Umgebung nur leicht verschwommen wahrnahm. Die Ausdünstungen hatten zudem zur Folge, dass ich allmählich Kopfschmerzen bekam. Meine Augen tränten. Das Flackern der Ewigen Flamme brachte tanzende und zuckende Schatten hervor. Die natürlichen Vertiefungen des grob behauenen Gesteins der Höhle hinter Esme begannen sich zu wellen. Ich sah eine Gestalt in ihnen, riesig, abstoßend, löwenähnlich, mit einer Mähne– und doch mit dem Antlitz eines Menschen in dem ansonsten katzenhaften Kopf. Augen und Nasenlöcher und Mund waren unergründlich tiefe Schlitze, die bis in den Stein reichten, hinein in die dahinter liegenden Eingeweide. Ich schüttelte den Kopf, um meine Gedanken zu klären. Schwaden trieben durch die Öffnungen der Kreatur nach draußen. Sie rochen nach Schwefel und Pech, vielleicht nach dem Atem von Acheron, ganz sicher aber nach dem Jenseits des Vortex. Und das Wesen– wenn es denn eines war– murmelte. In einer Sprache, die ich noch nie zuvor gehört hatte.
    Ich starrte Esme an. Sie war jung, aber ihre Haut hatte die ungesunde Blässe einer chronisch Kranken, und ihre Augen starrten ins Leere. Ihre Stimme klang eintönig, als sie zu sprechen begann, verströmte jedoch Wahrheit. Sie glaubte alles, was sie sagte.
    Ich vermutete, dass es ihre Aufgabe war, das Gemurmel des Orakels hinter sich zu deuten, als sie intonierte:
    Â» Ligea reist über Land, mittels Schiff und Tieren,
    Zu weit entfernten, neuen Welten.
    Die Fährte des wilden Jägers weist Richtung Osten,
    Er lässt die Gesetze unseres Reichs nicht gelten.
    Rauben will er
    Den Seelenfrieden uns’res edlen Herrschers.«
    Ich blinzelte. Ein Teil von mir hoffte– mit der üblichen sarkastischen Skepsis–, dass die dichterischen Fähigkeiten des Orakels besser waren als Esmes Übersetzung. Der Rest von mir war einfach nur entsetzt über den Inhalt der Zeilen. Wie konnte sie wissen, was ich selbst gerade erst erfahren hatte? Ich bewegte mich ein wenig zur Seite, um einen besseren Blick auf das Orakel zu erhaschen, aber Antonia hielt meinen Arm fest und riss mich unsanft zurück.
    Esme ließ sich durch mein verärgertes Grummeln nicht beirren und sprach weiter:
    Â» Unterscheiden kann sie zwischen Sein und Schein,
    Sie hat die Gabe, die Lüge zu erkennen,
    Daher wird Ligeas Jagd erfolgreich sein.
    Die schlauen Verräter wird mit Namen sie nennen,
    Und die neu gewonnene Macht
    Bringt sie am Ende in eine Stellung voll Glanz und Pracht.«
    Ich war zutiefst bestürzt. Wie konnte sie– wie konnte das Orakel von meinen Fähigkeiten wissen? Bei Acherons Nebeln, das Orakel verfügte doch nicht wirklich über eine solche Wahrnehmungsfähigkeit, oder?
    Doch, der Legende nach sehr wohl. Es gab Aufzeichnungen von prophetischen Versen, die in weit gefälligerer Dichtkunst geschrieben waren als diese Reime hier. Die Religiösen behaupteten, dass das Orakel für uns ein Mittel wäre, um den Rat der Götter einzuholen.
    Mir war elend zumute. Und, verflucht, Antonia hörte auch noch zu, als meine Geheimnisse in kindlichen Reimen über die Lippen dieses dummen Mädchens strömten…
    Sie sprach mit gedehnter Stimme weiter, und das Gedicht wurde sogar noch scheußlicher.
    Â» Eine Legata kehrt nach Tyr zurück,
    Um mit Tribut ihren Herrscher zu ehren,
    Bekränzt, gefeiert und mit Gold bestückt,
    Geehrt durch ihres Volkes Begehren,
    Wird ihre Geschichte erzählt durch des Dichters Hand.«
    Glücklicherweise schien das alles zu sein. Esme starrte ausdruckslos auf die gegenüberliegende Wand, ohne noch etwas zu sagen. Das Gemurmel des Orakels setzte sich fort, aber es kam keine Übersetzung mehr.
    Antonia schüttelte leicht meinen Arm. » Das ist alles, was Eure Ohren hören sollen«, sagte sie. » Gestattet mir

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