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Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Argirov Valentin
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zögerte ›Sie ging in die Richtung, aus der Sie kamen.‹
    ›Hören Sie‹, sagte ich, ›Sie sind ein vernünftiger Mensch. Mein Gefühl sagt mir, daß Sie etwas verschweigen. Wo liegt die Pointe?‹
    Er zögerte abermals. ›Ich habe die Kollegin Auerbach am Grab Ihrer Verlobten gesehen.‹
    ›An Karens Grab? Sie müssen sich geirrt haben.‹
    ›Ich stand in der Nähe, sie sah mich nicht, sie war allein, und schmückte das Grab mit Blumen.‹
    Ich schwieg. Er sagte: ›Hoffentlich bin ich Ihnen nicht zu nahe getreten. Ich hatte das Bedürfnis, es Ihnen zu erzählen.‹«
    »Ich gehe selten zu Karens Grab. Gestern war ich dort, es gab einen Grund dafür.
    Es ist inzwischen März geworden. Der Schnee ist überall geschmolzen. Karen ist seit drei Monaten tot.
    Ich sah gelbe Krokusse. Die Erde war schwarz, fett und großkörnig und dampfte etwas unter der Sonne. Karens Grab ist ein Provisorium. Noch kein Grabstein. Die Erde muß sich erst noch setzen.
    ›Ich fahre nach Amerika‹, sagte ich laut. Ich sagte nicht ›Karen‹. Ich sprach nie zu Karen, nicht, weil ich vermeiden wollte, sentimental zu werden oder traurig. Ich war hierhergekommen, weil für mich ein Lebensabschnitt beendet war. Ein neuer begann.
    Wir hatten von der Zeit geträumt, wo ich nach Amerika fahren würde, als Gastarzt an eine berühmte Klinik. Immer wieder hatten wir davon gesprochen. Karen wollte mitkommen. Jetzt werde ich allein hinfahren. Das Leben geht weiter.
    ›Die Universität hat mich auf ein Jahr beurlaubt‹, sagte ich. ›Ich komme in einem Jahr wieder.‹
    Ich sah die Blumen, frische Schnittblumen. Ich dachte, sie seien von Elisabeth. Es waren lange Gladiolen, die zartrosa schimmerten. Teure Vasenblumen, keine Grabblumen.« Hiermit endeten Bertrams Eintragungen in diesem Heft.

3
    »Er ist ein Snob mit künstlerischen Fähigkeiten«, sagte Malvina Auerbach. Sie sprachen über den Verfasser eines Theaterstücks, das sie gerade gesehen hatten. Sie lächelte amüsiert: »Er selbst merkt es so wenig wie sein Publikum. Er versteht die Menschen gegen etwas aufzubringen, obwohl kein rechter Grund vorhanden ist. Ich bin sogar bereit zu glauben, daß er es ehrlich meint und wie am Beginn der Flitterwochen eine ehrfurchtsvolle Hinnahme erwartet. Vielleicht ist er virtuos und wird noch berühmt werden, aber er berührt mich nicht.«
    »Deine Ausführungen sind etwas zu leidenschaftlich, um objektiv zu sein.«
    »Wenn ich offen sein soll, das interessiert mich jetzt nicht. Mein Gott, Johannes, laß dich endlich anschauen. Als ich dich vorhin im Theater sah, habe ich zunächst meinen Augen nicht getraut. Du saßt so allein da, und ich glaubte dich in meinen Gedanken weit weg …«
    »Du hast gleich gesagt: Komm, laß uns gehen. Früher hättest du das nicht getan, Malvina. Was ist inzwischen mit dir geschehen?«
    »Findest du mich verändert?«
    »Auf eine bestimmte Weise schon. Du wirkst erwachsen und aufgeschlossen.«
    »Wir haben uns lange nicht gesehen. Mir kommt es verdammt lange vor.«
    »Früher hast du nicht geflucht. Deine Spontaneität ließ immer etwas zu wünschen übrig, als ob du es darauf angelegt hättest, uns deine Kinderstube vor Augen zu führen.«
    »Erzähl mir lieber von dir. Wie lange warst du weg?«
    »Zwei Jahre.« Er sah ihren Blick. »Bin eben länger geblieben. Es gab zu viel zu sehen.«
    »Du bist also mit deinem Mekka zufrieden?«
    »Ja und nein. Am Anfang war es verwirrend, ich verzettelte mich. Ich sagte bereits, es gab zu viel, was mich interessierte. Es hat seine Zeit gebraucht, bis ich mich zurechtgefunden habe. Ich habe mich dann hauptsächlich auf mein Gebiet beschränkt.«
    »Du bist also eine Koryphäe geworden, Herr Privatdozent …«
    »Laß das, bitte!«
    »Immer noch so empfindlich? Warum hast du nichts von dir hören lassen?«
    »Ich habe dir geschrieben.«
    »Eine Ansichtskarte aus Los Angeles.«
    »Dallas …«
    »Vielleicht kommen wir noch dazu, und du erklärst mir den Unterschied. Du hast dich verändert. Nicht dein Äußeres. Laß mich überlegen. Du wirkst unbeschwert, frei. Wovon hast du dich lösen können, daß du dich so unwahrscheinlich verändert hast?«
    Bertrams Gesicht verriet seine Überraschung. »Augenblick«, sagte er langsam, »wir befinden uns in einem Restaurant, und ich liege nicht auf der Couch. Seit wann bist du zur Psychoanalyse übergewechselt?«
    Sie sah ihn mit funkelnden Augen an. »Ich finde dieses Restaurant schrecklich. Für die Psychoanalyse wird nicht

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