Der Chefarzt
unbedingt eine Couch gebraucht, das zu wissen bist du deinem wissenschaftlichen Rang schuldig. Ich bin einfach so froh, daß ich dich wieder getroffen habe. Du kannst das als Liebeserklärung auffassen. Müssen wir dieses blödsinnige Gespräch weiterführen?«
Draußen vor dem Restaurant schlang sie ihre Arme um seinen Hals, schmiegte sich eng an ihn – er spürte die Schläge ihres Herzens – und küßte ihn auf den Mund.
Drei Monate später griff Bertram nach langer Unterbrechung wieder zu seinen Notizen. Der Grund war Malvina Auerbach. Er machte folgende Eintragung: »Sie ist verdorben. Bei ihrer Jugend frage ich mich, wann sie die Zeit dafür gehabt hat. Sie weiß Dinge, bei denen ich rot werde, es kommt mir vor, als hätte ich vor ihr keine andere Frau besessen. Die körperliche Liebe bedeutet ihr viel, sie geht in ihr auf und wird eine andere Frau; die Hüllen der kultivierten Erziehung fallen, die Leidenschaft kehrt in ihrer ursprünglichen Primitivität zurück, wir hören auf, wir selbst zu sein, wir sind nur noch zwei Wilde, die sich irgendwo auf der Welt lieben.
Früher gab es Zeiten, wo ich sie für ein scheues, sexuell verklemmtes Mädchen hielt …
Das ist nicht alles. Es ist nur eine ihrer Seiten, die mich beeindrucken und für Überraschungen sorgen. Sie ist sensibel und zärtlich. Sie vermittelt mir jedesmal von neuem das Gefühl, etwas Besonderes zu erleben. Ich ahnte nicht, daß ich so sinnlich sein kann. Das liegt an meiner Erziehung. In der Provinz wird man prüde erzogen, ich habe mir nie übermäßig viel daraus gemacht. Ich war ein sexuell durchschnittlicher junger Mann, dessen heimliche Geliebte sein Beruf war. Es ist nicht weiter verwunderlich, daß ich zur Zeit das Gefühl der Unsterblichkeit besitze. Malvina ist auf ihren Körper stolz. Sie wirkt sehr knabenhaft, doch das stimmt nur bedingt. Ausgezogen wirkt sie sehr fraulich, trotz ihrer schmalen Hüften. Sie hat eine gepflegte Haut, weich und glatt, sogar an jenen Stellen, die durch das Sitzen rauh werden. Ich kann ihre Muskelzuckungen sehen, sie hat kein Gramm überflüssiges Fett. Hat sie viele Liebhaber gehabt? Ich vermute es, obwohl sie auf meine beiläufige Frage abweisend reagierte. Ich habe mich früher durch ihre joviale Haltung irreführen lassen, sie ist eine Frau mit einer äußerst komplizierten Gefühlswelt, an die sie niemand heranläßt. Eine dieser Frauen, die mit einem Mann eher schlafen, als von sich etwas preiszugeben.
Wo gehöre ich eigentlich hin? Zu den Liebhabern? Oder bin ich der Auserwählte ihres Vertrauens? Eines Tages möchte ich alles erfahren. Ich werde dafür viel Zeit benötigen … Eine Frau kann nicht ewig widerstehen, sie verrät es früher oder später. Anscheinend bin ich dabei, mich in Malvina zu verlieben. Möchte sie das erreichen? Hinter ihrem zierlichen Äußeren verbirgt sich ein unbeugsamer Wille. Sie ist zuvorkommend und von unendlicher Zärtlichkeit. Was für eine Frau!«
4
Monate waren vergangen. In diesem Winter hielten sie sich meist in Malvinas Wohnung auf. Sie war schon vor Jahren von zu Hause weggezogen und bewohnte eine schöne Dreizimmerwohnung in der Stadt. Von ihrer Verbindung wußte inzwischen alle Welt. Sie wurden überallhin eingeladen, gingen oft aus. Sie waren ein aufsehenerregendes Paar. Er wirkte vital und männlich, seine Anwesenheit beunruhigte die Frauen. Einmal sagte die spitzfindige und als geistvoll geltende Ursula Neff-Koch tief verwundert: »Er ist ja häßlich, dieser Bertram!«
Malvina schien seine bloße Anwesenheit den fehlenden Rahmen zu geben, sie wirkte neben ihm schmiegsam und anmutig.
Bald standen sie im Mittelpunkt des Gesellschaftslebens. Keine Gastgeberin, die etwas auf sich hielt, ließ sich durch ihre Ausreden beeindrucken. Sie gingen hin auf einen Drink und es wurden Nächte daraus.
Er wachte am nächsten Tag mit schmerzendem Kopf und belegter Zunge auf, seine Augen brannten, er war mutlos und hatte ein schlechtes Gewissen wegen seiner Arbeit. »Diese verdammten Partys!«
»Du siehst mitgenommen aus …«
»Ist das ein Wunder? Wir verbringen unsere Nächte, um uns zu besaufen, wir rauchen uns zu Tode … Ich versuche nett zu sein zu Menschen, die mir gleichgültig sind und mich langweilen. Am nächsten Tag bin ich erschlagen und kann mich bei meiner Arbeit nicht konzentrieren. Seit Monaten schlafe ich nur ein paar Stunden. Ich habe mich erwischt, wie ich heimlich meine Leber abtastete. Es ist lächerlich … deine Art zu leben
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