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Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Argirov Valentin
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das betraf, kannte sich Leopoldine Stein gut aus. Alle Gescheiterten glauben gern an ihre Einmaligkeit.
    Bei dem Gedanken an Stephan Thimm verspürte sie eine große Zärtlichkeit.

3
    »Pech«, sagte Glücklich mit einem Gesicht, das plötzlich kalt und starr geworden war. Vor Pech hatte er Angst. Und dies hier ließ sich an, als ob er vom Pech verfolgt wäre. Deswegen hatte ihm das Luder die Zeitung gebracht. Mit zusammengebissenen Zähnen sah er auf sein Bild, ein schlechtes Archivfoto der Polizei, aber immerhin war es sein Gesicht, unverkennbar. »Dieser Mann wird in Verbindung mit einem Kirchenraub gesucht. Mehrere wertvolle Bilder im Wert von …« Von wegen, alter Plunder, ein Butterbrot wert. Tscharli hatte also gesungen. Glücklichs hilflose Wut schlug in Selbstbezichtigung um: ›Geschieht dir recht!‹ Er hatte Angst vor einer höheren Strafe.
    Schuster bleib bei deinem Leisten – kaum hatte er diese Grundregel verlassen, schon ging es schief. Das Leben war eine Sache, die er nicht ganz begriff, noch weniger die Aufregung darüber. Vor wem wollten diese Hanswürste ihre Kniebeugen machen? Vor Gott oder vor dem sechzehnten Jahrhundert? Ach, zum Teufel. Seine Bewegungsfreiheit war im Arsch. Die nächsten vier Wochen werden die Bullen scharf auf ihn sein. Was für ein schäbiges Foto.
    »Was gedenkst du zu tun?« fragte Rosemarie jetzt. »Du läßt dich doch hier nicht erwischen?«
    »Gott behüte«, war seine ratlose Antwort, und sie sah ihn enttäuscht an. Sie hatte seinen Widerspruch erwartet, die Gelegenheit begrüßt, zu streiten, ihn kurzerhand hinauszuwerfen, denn jetzt war er ihr ausgeliefert. Alles, was sie brauchte, war nur, den Mund aufzureißen und laut zu schreien. Einen Augenblick lang war sie versucht, es zu tun.
    »Weil mich niemand hier vermutet, mein hübsches Kind, bleibe ich bei dir.« Er hatte sich wieder gefangen, und seine einschmeichelnde Stimme verriet, daß er sich in einer gefährlichen Stimmung befand, bereit, sie wie eine wilde Katze anzuspringen.
    »Aber das ist unmöglich.«
    »Soso, und warum?«
    »Weil ich es nicht will«, sagte sie schwach.
    Er grinste breit. »Das gnädige Fräulein beliebt zu wünschen. Nun gut, wo soll der arme Josi sonst ein gastfreundliches Dach finden?«
    »Das ist mir doch gleich. Scher dich zum Teufel, sonst werde ich …«
    »Das wirst du nicht.« Wieder schmeichelte er sich ein. »Der Josi wird dir weh tun.« Mit Entsetzen sah sie das Küchenmesser in seiner Hand. »Ich schneide dir die Ohren ab.« Er grinste. »Ohrringe ohne Ohren sind doch nichts wert.«
    Mißtrauisch fragte sie: »Was für Ohrringe?«
    »Na, von der alten Schachtel zum Beispiel. Wo hast du sie versteckt?«
    »Du spinnst.«
    »Ein Brillantkollier ist eine Menge Kies für mich, für dich ist es einen Pfifferling wert. Wenn du dabei mit acht Jahren davonkommst, hast du Schwein gehabt.«
    »Ich sage nichts.«
    »Und wenn ich dir jedes einzelne Wort herausprügeln muß«, sagte er ohne Eile, »wir haben eine ganze Nacht vor uns.«
    »Du tust mir weh.«
    »Es wird noch schlimmer. Wie kommt man an den Schlüssel ran?«
    »Laß mich endlich los!« Er hatte ihr den Arm auf den Rücken gedreht, drehte langsam weiter, bedacht, ihn nicht zu brechen.
    »Auu …«
    »Den Schlüsselkasten, von dem du quasselst, wo finde ich den?«
    »In der Pathologie, unten im Treppenhaus.«
    »Auch den Schlüssel zu diesem Massengrab? Was für ein widerwärtiges Versteck.«
    »Darauf wäre niemand gekommen«, sagte sie nicht ohne Stolz, »du auch nicht.«
    »Halt den Mund. Es ist ein Stahlkasten, nehme ich an, wer kommt an den ran?«
    »Die Oberschwester.« Sie spürte den Druck auf ihren Arm stärker werden und beeilte sich zu sagen: »Leopoldine Stein.«
    »Doch nicht die.« Bösartig fuhr er fort: »Schon gut. Dann muß man in den Keller, sagtest du. Welche Türe?«
    »Ich glaube die sechste rechts von der Treppe, sie hat ein verschließbares Gitter.«
    »Das Zeug … ist ganz sicher drin?!«
    »Jedes Stück. Du bist ein Scheißkerl.« Jetzt war ihr alles egal, wenn sie nur endlich von diesem entsetzlichen Schmerz befreit würde. Ihr wurde übel, wie sie so dalag, Gesicht und Bauch auf den Boden gepreßt, die Augen verheult und rot unterlaufen. Noch vorhin schien ihr alles in Ordnung zu sein, und sie hatte sich ungehindert dem Gedanken widmen können: ›Eine Frau, die Juwelen besitzt, ist nicht mehr dieselbe Frau.‹ Jetzt wußte sie, warum der Kerl sich darauf einrichtete, eine Ewigkeit bei ihr zu

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