Der Chefarzt
zur Diskussion, sondern Sie.«
»Das ist es ja.« Jetzt sprach Fritsch mit der Gleichgültigkeit der Verzweiflung. »Und weil wir gerade dabei sind, möchte ich Ihnen nicht verheimlichen, daß ich den Tod einer Patientin verschuldet habe.«
»Was haben Sie?«
»Es war eine Wiederrhythmisierung. Ich habe sie umgebracht.«
Bertrams Nasenflügel bebten. »Für den Versuch hätten Sie meine Zustimmung gebraucht.«
»Es ging auch ohne. Schief.«
»Was ist passiert?«
»Kammerflimmern. War gleich tot.«
»Ich verstehe Sie nicht ganz. Warum haben Sie das gewagt?«
»Aus Ehrgeiz, nehme ich an. Ich wollte mir beweisen, daß ich was kann. Ich war von meiner eigenen Bedeutung überzeugt.«
»Die Todesursache, sind Sie sich dessen sicher? Die Obduktion …«
»Fand nicht statt. Ich habe die Leiche freigegeben.«
»Unter diesen Umständen«, Bertram war sehr förmlich, »sehe ich keinen Anlaß, Ihre weitere Mitarbeit in Anspruch zu nehmen.«
»Gewiß«, sagte Fritsch entgegenkommend, »das dürfte Ihnen kaum schwerfallen.«
Dann, als ob ihm das Ganze erst jetzt bewußt würde, sprach er schnell: »Aber was habe ich denn getan, was Sie nicht auch getan haben? Sie benehmen sich, als wären Sie unfehlbar, aber auch Sie sind einmal jung gewesen. Vielleicht macht es Ihnen Spaß, wenn alle vor Ihnen zittern, es ist eine verfeinerte Art von Unmenschlichkeit. Auch wie Sie mit mir umgehen. Man soll nicht so tun, als wäre die Welt aus den Fugen, sie war eine alte Frau, die ihr Leben gelebt hatte, und ich der Arzt, der versuchte, ihr Herz wieder in Ordnung zu bringen. Es hat eben nicht geklappt. Muß ich dafür mit dem Ruin meiner Existenz büßen?!« Er wiederholte den letzten Satz, um festzustellen, wie er sich anhörte, und rief aus: »Was erwarten Sie von mir? Sie werden doch nicht behaupten, es wäre Ihnen noch nie etwas Ähnliches passiert? Sie selbst wissen, wie oft …«
»Ja«, sagte Bertram, »nur sehen Sie den Unterschied?«
»Welchen?«
»Ich bin Ihr Vorgesetzter.«
»Sie meinen«, entgegnete Fritsch, »auf Anordnung eines Ordinarius stirbt es sich leichter.«
Das war mit der Würde des Klinikchefs nicht vereinbar. »Gehen Sie«, sagte Bertram.
›Hier bin ich‹, dachte Fritsch ohne Überzeugung, ›hier gehöre ich her.‹
Zu Lisa, der er im Flur der Frauenstation begegnete, sagte er: »Wie sehr Sie mich jetzt hassen!«
»Ich Sie hassen?« entgegnete sie.
»Ich habe Sie irregeführt. Sie haben meinetwegen Todesängste ausgestanden, ist das nicht Grund genug?«
»Sie haben mir sehr geholfen«, sagte sie aufrichtig. »Sie handelten nach Ihrer Überzeugung.«
Und weil er sie ungläubig ansah, sagte Lisa: »Sie taten Ihr Bestes.«
»Soll das heißen«, Fritsch atmete vernehmlich, als würde er dieser Frage eine außerordentliche Bedeutung beimessen, »Sie würden einen Arzt, der so wie ich gehandelt hat, trotzdem wieder aufsuchen?«
»Jederzeit«, war ihre Antwort. Sanft korrigierte sie ihn: »Nicht trotzdem, deswegen.«
»Heißt das, Sie verzeihen mir?«
Der dumme, dumme Junge. Jetzt wußte Lisa, daß die Liebe nicht aus gemeinsamen Abenden vorm Fernseher bestand, aus einer sauberen Wohnung und regelmäßigen Mahlzeiten. Die Liebe war etwas ganz anderes als Verpflichtung, Dankbarkeit und Nebeneinanderleben.
Sie stand vor Fritsch und berührte ihn fast, nur war diese Liebe, so zum Greifen nahe, für sie unerreichbar.
6
Das Haus ist tot, leer und voller Erinnerungen an Malvina. »Du hast nie deine Vagabundenjahre gehabt, Johannes!« Sie hatte recht. Er hatte nie seine Reise nach Utopia gemacht. Ein Leben lang keine sorglosen Tage. Ein selbstbewußter junger Mann, der sich wichtig nahm und es mit seiner Karriere eilig hatte. Mit einer mystischen Überzeugung glaubte er an seine Bestimmung zu großen Taten.
»Genießen ist ein Wort, das für dich nie existierte.«
Sie hatte recht. Nie ließ er sich gehen. Wenn er sich betrank, dann mit einem schlechten Gewissen und darauf bedacht, seine Würde nicht zu verlieren. Das Spontane hatte er immer gemieden. Was er auch tat, war durchdacht, überlegt, kultiviert und unterkühlt – ein ernster junger Mann, der die Ausbrüche der Leidenschaft fürchtete.
»Warum die Trennung?«
»Weil du dabei bist, alle Liebe in dir zu zerstören. Du denkst keinen Augenblick an mich und daran, was ich durchmachen mußte. Dir ist nichts heilig. Nichts, außer dir selbst.«
»Um einen Augenblick frivol zu sein.«
»Das warst du nie. Du hast immer so getan, als ob. Du
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