Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
Vom Netzwerk:
Reklamationen hören, Herr Wachtmeister! – Für nüt müßten sie arbeiten; durch ihre Arbeit könnten die großen Herren ein schönes Leben führen – und dabei, ich will ganz offen zu Ihnen sein, gelingt es uns nicht einmal, die Unkosten herauszuwirtschaften. Jährlich muß der Staat zum mindesten – ich sage zum mindesten! – zwanzigtausend Franken draufzahlen, sonst würde es mit unserer Abrechnung bös hapern. Ich komme mir bald vor wie ein Reisender, sogar ein Auto habe ich mir angeschafft und muß nun die Kundschaft abklopfen. Die Konkurrenz der andern staatlichen Anstalten! Das ist das Übel! Die Irrenanstalten, die Strafanstalten, sie alle liefern Heimarbeit – und so kommen wir zu dem blöden Zustand, daß eine Anstalt der andern versucht, die Kunden wegzu…«
    »Er hed es Chesseli Benzin welle«, unterbrach der Bauer Gerber. – Er gehe ja schon, er gehe ja schon! keifte der Wirt Brönnimann und humpelte zum Saal hinaus.
    Die Zurückbleibenden stießen miteinander an, tranken, schwiegen; dann begann der Direktor der Gartenbauschule, Herr Sack-Amherd, ebenfalls bitter über die Regierung zu klagen: – Früher, ja früher hätten die Bauern revolutioniert, weil man ihnen den Zehnten abverlangt habe. Und heutzutage? Da reklamiere niemand, wenn man zwölf bis vierzehn Prozent Einkommensteuer abladen müsse. Ja: zwölf bis vierzehn Prozent! Das sei nach seiner bescheidenen Ansicht mehr als der Zehnte! Aber wer wage gegen die Übergriffe – die Finanzübergriffe – zu reklamieren? – Niemand! Und warum…?
    In der Tür erschien der Wirt Brönnimann. – Er habe no-n-es Chesseli Benzin uftriebe chönne. Der Wachtmeister solle cho luege, aber e chli pressiere…!
    Zugleich mit Studer erhob sich Herr Farny. Er wolle den Gast noch hinausbegleiten, sagte er. Allgemeines Verabschieden… Der Händedruck des Hausvaters Hungerlott war reichlich klebrig. Es war, als könne er seine Finger gar nicht mehr von Studers Hand lösen. Herr Sack-Amherd verabschiedete sich merklich kürzer und die beiden Bauern, Gerber und Schranz, ließen nur ein undeutliches Murmeln hören. Dann stand Studer unten an den ausgetretenen Stufen. Der Wirt Brönnimann verschwand in einem Schopf, um, wie er sagte, dort Benzin zu holen – und neben dem Wachtmeister blieb allein der ›Chinese‹ zurück.
    »Sie haben sie nun alle gesehen, Inspektor«, sagte Herr Farny. » Fast alle . Denn soviel ich heute erfahren habe, ist noch ein Bursche im Haus, den ich Ihnen nicht habe vorstellen können. Er fürchtet sich vor der Polizei, verstehen Sie? Aber sonst… Wie gesagt: Es waren fast alle anwesend.«
    Herr Farny schwieg einen Augenblick, dann hob er mit einem Ruck den Kopf und blickte dem Wachtmeister in die Augen. Die Lampe, die über der Eingangstüre zur Wirtschaft hing – und über ihr baumelte und glänzte das Schild, das mit feinen strähnigen Strahlen die Sonne darstellen sollte –, beschien die Gesichter der beiden von oben und warf schwarze Flächen auf sie. Der ›Chinese‹ legte seine leichte Greisenhand auf die mächtige Schulter des Wachtmeisters und sagte:
    »Sie werden mich also rächen.«
    Schweigen…! Der Blick des Fremden senkte sich nicht.
    »Rächen!« wiederholte Herr Farny. »Sie werden meinen, Inspektor, das sei kindisch. Vielleicht, Sie haben recht! Aber ich will nicht, daß er hat den Triumph.«
    »Er?« wiederholte der Wachtmeister fragend. »Welcher er?«
    Da lächelte der Fremde und es war ein sehr unbernisches Lächeln. – Ein uneuropäisches fast. »Wer? Wenn ich ihn kennen würde! Ich weiß es nicht. Sie werden es herausfinden müssen… Aber ich vertraue Ihnen. Ich kenne mich aus in Menschen. Ich kann taxieren ohne zu sehen Ihre Schrift, ohne zu wissen Ihr Geburtsdatum. Sie, Inspektor, sind wie ein Schwerölmotor.
    Es braucht lange, bis Sie eine hohe Tourenzahl erreicht haben, aber dann laufen Sie, dann nehmen Sie jedes Hindernis wie ein Traktor, wie ein Tank… Ich weiß schon, Sie haben gedacht heut abend, der Farny ist verrückt, er leidet an Verfolgungswahn. Und Sie werden sehen, daß der Farny recht behalten wird. Morgen? Übermorgen? In einem Monat? In zweien? In dreien? Einmal wird er recht haben und dann werden Sie Arbeit bekommen… Gute Nacht, Inspektor, schlafen Sie wohl. Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt nach Hause.«
    Kein Handdruck, kein Geräusch… Farny James, der ›Chinese‹, war lautlos verschwunden – die Stufen hinauf? Um die Ecke des Hauses?
    Vom Schopf her aber kam hustend und

Weitere Kostenlose Bücher