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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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verlockender und vermutlich unrichtiger als der andere. Aber die Schlüsse lasse ich Sie allein ziehen. Falls Sie interessiert sind.«
     
    Er stand auf, nachdem er erneut seine Zigarette im Blumentopf ausgedrückt hatte. »Jetzt ziehe ich weiter meine Kreise«, sagte er. »Vielleicht laufen wir uns wieder einmal über den Weg. Wer weiß?«
     
    Sie sah ihm nach, als er aus der Tür ging. Eine junge Frau aus der Rezeption kam vorbei und blieb stehen, als sie den Rauch witterte.
     
    »Ich war es nicht«, sagte Birgitta Roslin. »Ich habe meine letzte Zigarette mit zweiunddreißig Jahren geraucht, also wohl ungefähr zu der Zeit, als Sie geboren wurden.« Sie ging auf ihr Zimmer, um ihren Koffer zu packen. Aber sie blieb am Fenster stehen und betrachtete den unermüdlichen Vater mit seinen Kindern auf dem Schlitten. Was hatte dieser widerliche Mann eigentlich gesagt? Und war er wirklich so widerlich, wie es ihr vorkam? Er tat wohl auch nur seine Arbeit. Sie war nicht besonders entgegenkommend zu ihm gewesen. Hätte sie sich anders verhalten, vielleicht hätte er ihr mehr zu erzählen gehabt.
     
    Sie setzte sich an den kleinen Schreibtisch und begann, sich Notizen zu machen. Wie gewöhnlich dachte sie am besten mit einem Stift in der Hand. Von einem getöteten Jungen hatte sie nirgendwo etwas gelesen. Er wäre der einzige junge Mensch, der getötet wurde, falls es nicht noch andere Opfer gab, von denen die Allgemeinheit nichts wusste. Was Lars Emanuelsson über die Gewalt gesagt hatte, konnte nur bedeuten, dass die anderen Menschen in den Häusern misshandelt, vielleicht gefoltert worden waren, bevor sie getötet wurden. Was war der Grund dafür, dass der Junge verschont worden war? Konnte es so einfach sein, dass er ein Kind war und der Täter darauf Rücksicht genommen hatte? Oder gab es einen anderen Grund?
     
    Es gab keine selbstverständlichen Antworten. Das war auch nicht ihr Problem. Sie schämte sich noch immer für das, was am Vortag passiert war. Ihr Verhalten war unverantwortlich gewesen. Was geschehen wäre, wenn ein Journalist sie entdeckt hätte, wagte sie sich gar nicht vorzustellen. Dann wäre sie zu einem gelinde gesagt erniedrigenden Rückzug nach Schonen gezwungen gewesen.
     
    Sie packte ihre Tasche und machte sich bereit, das Zimmer zu verlassen. Doch zuerst schaltete sie noch einmal den Fernseher ein, um die Wettervorhersage zu sehen und danach zu entscheiden, welche Strecke sie fahren wollte. Sie landete in einer Pressekonferenz im Polizeipräsidium von Hudiksvall. Auf einem kleinen Podium saßen drei Personen, die einzige Frau unter ihnen war Vivi Sundberg. Wenn sie nun da sitzt, um zu berichten, dass eine Richterin aus Helsingborg als Diebin ertappt worden ist, dachte Birgitta Roslin. Sie sank auf die Bettkante und drehte den Ton lauter. Der Mann in der Mitte, Tobias Ludwig, führte das Wort. Es war eine Livesendung. Als Tobias Ludwig geendet hatte, zog der zweite Mann, Staatsanwalt Robertsson, das Mikrofon zu sich und betonte, dass die Polizei dringend Hinweise aus der Bevölkerung benötige. Jede Beobachtung, seien es Autos oder fremde Menschen, die sich in der Gegend aufgehalten hatten, alles, was vom Gewöhnlichen abwich, konnte von Bedeutung sein.
     
    Nach dem Staatsanwalt war Vivi Sundberg an der Reihe. Sie hielt einen Plastikbeutel in die Höhe. Die Kamera holte den Beutel mit dem Zoom heran. Darin lag ein rotes Seidenband. Vivi Sundberg sagte, dass die Polizei gern wüsste, ob jemand das Band erkannte.
     
    Birgitta Roslin beugte sich hinab zum Fernsehschirm. Hatte sie nicht ein rotes Band wie das in dem Beutel gesehen? Sie kniete vorm Bildschirm nieder, um deutlicher sehen zu können. Das Seidenband erinnerte sie eindeutig an etwas. Sie durchsuchte ihre Erinnerung, aber vergeblich.
     
    Die Pressekonferenz ging mit Fragen der Journalisten weiter. Das Bild verschwand. Der Raum im Polizeipräsidium wich der Wetterkarte. Entlang der Ostküste sollten Schneeschauer von der Finnischen Bucht heranziehen.
     
    Birgitta Roslin entschied sich für eine Route durchs Landesinnere. An der Rezeption bezahlte sie und checkte aus. Auf dem Weg zum Wagen spürte sie den beißenden Wind. Sie legte ihren Koffer auf die Rückbank, studierte die Straßenkarte und nahm sich vor, durch die Wälder nach Järvsö und von da Richtung Süden zu fahren.
     
    Als sie auf die Landstraße gekommen war, schwenkte sie plötzlich auf einen Parkplatz ein. Ihr ging das rote Seidenband nicht aus dem Sinn, das sie im

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