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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Anstrengungen?
     
    Zweimal war sie bedroht worden. In einem Fall war die Polizei in Helsingborg der Ansicht, dass Personenschutz geboten war. Es ging um einen Drogendealer, der eine Motorradgang hinter sich hatte. Ihre Kinder waren noch klein. Es war eine unangenehme Zeit, die ihr Familienleben stark in Mitleidenschaft gezogen hatte. Es war eine der Perioden in ihrem Leben, in denen sie und Staffan sich fast täglich angeschrien hatten.
     
    Während sie aß, vermied sie es, in die Zeitungen zu sehen, die sich in den Ereignissen von Hesjövallen suhlten. Stattdessen griff sie zu einer Wirtschaftszeitung und blätterte zerstreut zwischen Börsennotierungen und Diskussionen über den Frauenanteil in den Vorständen schwedischer Aktiengesellschaften. Es waren nur wenige Gäste im Frühstücksraum. Sie holte sich eine zweite Tasse Kaffee und überlegte, ob sie für die Rückfahrt eine andere Route wählen sollte. Vielleicht westlicher, durch die Wälder Värmlands?
     
    Plötzlich wurde sie angesprochen. Von einem Mann, der allein an einem Tisch im hinteren Teil des Raums saß. »Reden Sie mit mir?«
     
    »Ich möchte nur wissen, was Vivi Sundberg von Ihnen wollte.«
     
    Sie kannte den Mann nicht und verstand nicht, was er mit seiner Frage bezweckte. Bevor sie antworten konnte, stand er auf und kam an ihren Tisch. Er zog einen Stuhl heran und setzte sich, ohne zu fragen.
     
    Der Mann hatte einen roten Kopf, war in den Sechzigern, übergewichtig und hatte schlechten Atem. Sie wurde ärgerlich und verteidigte sofort ihr Revier. »Ich möchte bitte in Ruhe zu Ende frühstücken.« 
    »Sie haben schon gefrühstückt. Ich will nur ein paar Fragen stellen.«
     
    »Ich weiß nicht einmal, wer Sie sind.«
     
    »Lars Emanuelsson, Reporter. Kein Journalist. Ich bin besser als die. Ich schreibe keine Klatschgeschichten. Meine Texte sind durchgearbeitet und haben Stil.« 
    »Das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, mich beim Frühstück zu stören.« Lars Emanuelsson stand auf und setzte sich an einen Nebentisch. »Besser so?«
     
    »Besser. Und für wen schreiben Sie?«
     
    »Das habe ich noch nicht entschieden. Erst die eigentliche Geschichte, dann der Beschluss, wer sie bekommt. Ich verkaufe nicht an jeden.«
     
    Seine großsprecherische Art ärgerte sie mehr und mehr. Außerdem spürte sie, dass er roch, als hätte er sich lange nicht gewaschen. Er war wie die Karikatur eines aufdringlichen Journalisten.
     
    »Ich habe mitgekriegt, dass Sie gestern mit Vivi Sundberg gesprochen haben. Es war kein besonders herzliches Gespräch. Zwei Rivalinnen, die sich gegenseitig beargwöhnen. Irre ich mich?«
     
    »Sie irren sich. Ich habe Ihnen nichts zu sagen.« »Aber Sie können nicht abstreiten, dass Sie mit ihr gesprochen haben?« »Das tue ich auch nicht.«
     
    »Ich frage mich, was eine Richterin aus Helsingborg hier macht. Irgendetwas haben Sie mit der Ermittlung zu tun. In einem kleinen Dorf in Norrland passieren schreckliche Dinge, und Birgitta Roslin kommt aus Helsingborg angereist.« Sie schärfte ihre Wachsamkeit. »Was wollen Sie? Woher wissen Sie, wer ich bin?«
     
    »Es geht um Methoden. Das ganze Leben ist ein ununterbrochenes Suchen nach dem besten Weg, Resultate zu erzielen. Ich vermute, dass das auch für Richter gilt. Man hat Regeln und Vorschriften, Gesetze und Bestimmungen. Aber die Methoden, die man anwendet, sind die eigenen. Ich weiß nicht mehr, über wie viele Verbrechensermittlungen ich geschrieben habe. Ein Jahr lang, genau gerechnet dreihundertsechsundsechzig Tage, habe ich die Palme-Ermittlung verfolgt. Ich habe schon früh erkannt, dass der Mörder nie gefasst werden würde, weil die Ermittlung schon auf Grund gelaufen war, bevor sie überhaupt richtig in Fahrt gekommen war. Es war ja offensichtlich, dass der Mörder nie überführt werden konnte, weil die Polizei und die Staatsanwälte nicht nach der Aufklärung des Mordes trachteten, sondern nach der Gunst auf den Sofas der Fernsehkanäle. Viele meinten damals, es müsste Christer Pettersson sein. Bis auf einige kluge Ermittler, die erkannten, dass er der Falsche war, in jeder Hinsicht. Aber auf sie hat niemand gehört. Ich halte mich sowieso am liebsten am äußeren Rand auf, ich umkreise das Ganze. Dann sieht man Einzelheiten, die andere nicht entdecken. Zum Beispiel dass eine Richterin Besuch von einer Polizeibeamtin bekommt, die genaugenommen überhaupt keine Zeit für etwas anderes hat als die Ermittlung, an der sie rund um die Uhr

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