Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
Richtung nach Irkutsk hin. Ohne diese Annäherung der Ufer hätte sich die Schollenwand nicht bilden können und das Floß wäre nach wie vor von der Strömung fortgetragen worden. Gegen den unglücklichen Zufall war aber nicht das Geringste zu thun, und die Flüchtlinge mußten eben auf jede Hoffnung verzichten, ihr ersehntes Ziel zu erreichen.
    Im Besitze solcher Werkzeuge, wie sie die Wallfischfahrer gebrauchen, um sich Kanäle durch das Eisfeld zu brechen, hätten sie vielleicht gerade noch Zeit gehabt, das Hinderniß bis zu der wieder erweiterten Stelle des Stromes zu beseitigen. Aber keine Säge, keine Spitzhaue war zur Hand, um die von der Kälte granitartig verhärtete Kruste mit Aussicht auf Erfolg anzugreifen.
    Was nun?
    In diesem Augenblicke krachte eine Gewehrsalve am rechten Ufer der Angara. Ein ganzer Kugelregen war auf das Floß gerichtet. Man hatte die Armen also noch entdeckt. Diese Annahme fand dadurch ihre Bestätigung, daß es jetzt auch von dem linken Ufer her aufblitzte. Zwischen zwei Feuer gestellt, dienten die Flüchtlinge als Zielpunkte der tartarischen Tirailleurs. Einige wurden auch verwundet, obgleich die Kugeln bei der herrschenden Dunkelheit nur durch Zufall trafen.
    »Komm, Nadia,« raunte Michael Strogoff dem jungen Mädchen in’s Ohr.
    Ohne den mindesten Einwand ergriff Nadia »bereit zu Allem« Michael Strogoff’s Hand.
    »Wir müssen jetzt die Eisbank übersteigen, flüsterte er, aber Keiner darf gewahr werden, daß wir das Floß verlassen!«
    Nadia gehorchte. Michael Strogoff und sie glitten schnell, geschützt von der Finsterniß, welche nur da und dort das Feuer der Gewehre unterbrach, auf die Eisfläche.
    Nadia kroch Michael Strogoff voraus. Wie ein Hagel schlugen die Kugeln rings um sie ein oder prallten an den Schollen ab. Die unebene Eisdecke mit ihren hervorstehenden scharfen Kanten und Spitzen riß ihnen die Hände auf, aber sie kamen doch vorwärts.
    Zehn Minuten später erreichten sie die untere Grenze der Eiswand. Hier ward das Wasser der Angara wieder frei. Einige Schollen rissen sich hier und da von derselben los und schwammen nach der Stadt hinunter.
    Nadia verstand Michael Strogoff’s Absichten. Sie fand eine Eisscholle, welche nur durch eine schmale Verbindung fest hing. »Komm«, sagte Nadia.
    Beide legten sich auf das Eisstück, das sich nach einigem Schwanken von der Bank ablöste.
    Jetzt begann es, dahin zu treiben. Das Bett des Flusses erweiterte sich, der Weg stand offen.
    Michael Strogoff und Nadia hörten noch das Knallen der Gewehre, die Ausrufe der Verzweiflung, das Brüllen der Tartaren … Dann verstummten langsam diese Ausbrüche der entsetzlichen Angst und der teuflischen Freude.
    »Unsere armen Gefährten!« seufzte Nadia.
    Während einer Stunde trug die Strömung jene Eisscholle mit Michael Strogoff und Nadia schnell dahin. Jeden Augenblick hatten diese zu befürchten, daß sie unter ihnen in Stücke gehen könne. Von der stärksten Strömung ward sie nahezu in der Mitte der Wasserfläche erhalten, und doch handelte es sich darum, sie mehr nach der Seite zu leiten, wenn sie an einem der Quais in Irkutsk landen sollte.
    Michael Strogoff lauschte, ohne ein Wort zu sprechen, gespannten Ohres. Niemals winkte ihm so nahe das Ziel. Er fühlte jetzt, daß er es erreichen werde! …
    Um zwei Uhr Morgens schimmerte eine doppelte Reihe Lichter an dem dunklen Horizonte neben den beiden Ufern der Angara.
    Zur Rechten rührte dieser Lichtschein von Irkutsk her, zur Linken von den Wachtfeuern des tartarischen Feldlagers.
    Michael Strogoff war nur noch eine halbe Werft von der Stadt entfernt.
    »Endlich!« murmelte er für sich.
    Aber plötzlich stieß Nadia einen furchtbaren Schrei aus.
    Bei diesem Aufschrei erhob sich Michael Strogoff auf der schwankenden Scholle. Seine Hand streckte sich nach der Angara hinaus. Sein von bläulichen Reflexen überstrahltes Gesicht nahm einen furchtbaren Ausdruck an, und dann rief er, als hätten sich seine Augen auf’s Neue dem Lichte erschlossen:
    »Ach, also Gott selbst ist doch gegen uns!«
Zwölftes Capitel.
Irkutsk.
    Irkutsk, die Hauptstadt Ostsibiriens, zählt unter gewöhnlichen Verhältnissen etwa 30,000 Einwohner. Ein ziemlich hohes, steiles Ufer an der rechten Seite der Angara trägt seine von einer hohen Kathedrale überragten Kirchen und die in pittoresker Unordnung daneben verstreuten Häuser.
    Von einer gewissen Entfernung aus, etwa von der Höhe des Berges, über den in einer Entfernung von zwanzig Werft die

Weitere Kostenlose Bücher