Der Courier des Czar
Officiere setzten sich bei dieser Gelegenheit rücksichtslos jeder Gefahr aus. Sie traten mit ihrer eigenen Person ein und führten die Civilbevölkerung mit auf die Wälle. Bürger und Mujiks erfüllten opferfreudig ihre Pflicht. Bei dem zweiten Sturmangriff war es den Tartaren gelungen, eines der Thore in den Wällen zu erobern. An dem einen Ende der großen, zwei Werft langen und oben und unten an der Angara ausmündenden Straße von Bolchala kam es zu einem Kampfe. Aber Kosaken, Gendarmen und Bürger setzten den Tartaren einen so hartnäckigen Widerstand entgegen, daß sich diese zuletzt in ihre früheren Stellungen zurückziehen mußten.
Nun gedachte Iwan Ogareff durch Verrath zu erreichen, was er durch Gewalt nicht erlangen konnte. Wir wissen, daß seine Absicht dahin ging, in die Stadt einzudringen, sich dem Großfürsten zu nähern, dessen Vertrauen zu erschleichen und seiner Zeit eines der Thore den Belagerern zu überliefern. Dann wollte er seinen eigenen Rachedurst an dem Bruder des Czar stillen.
Die Zigeunerin Sangarre, seine Begleiterin bis in das Lager an der Angara, trieb ihn noch an, dieses Vorhaben auszuführen.
In der That war auch Gefahr im Verzuge. Schon marschirten die Truppen aus dem Gouvernement Jakutsk auf Irkutsk. Sie hatten sich am oberen Laufe der Lena concentrirt, deren Thale sie folgten. In höchstens sechs Tagen mußten sie eintreffen, also wurde es nöthig, Irkutsk vor diesem Zeitpunkte durch Verrath zu überwältigen.
Iwan Ogareff zögerte keinen Augenblick. –
Eines Abends, am 2. October, wurde in dem großen Salon des Gouvernementspalastes, in dem der Großfürst residirte, ein Kriegsrath abgehalten.
Dieses am Ende der Bolchaïastraße gelegene Gebäude beherrscht weithin den Lauf des Flusses. Gegenüber den Fenstern seiner Hauptfaçade sah man das Lager der Tartaren; hätten letztere weiter tragende Belagerungsgeschütze besessen, so wäre dieses Gebäude ganz unhaltbar gewesen.
Der Großfürst, der General Voranzoff, der Gouverneur der Stadt, der Chef der Kaufleute und eine Anzahl höhere Officiere besprachen eben verschiedene nothwendige Maßregeln.
»Meine Herren, begann der Großfürst, unsere dermalige Lage ist Ihnen hinlänglich bekannt. Ich habe die feste Ueberzeugung, daß wir Irkutsk bis zum Eintreffen von Ersatztruppen zu halten im Stande sind. Dann werden wir leicht im Stande sein, die Barbarenhorden in die Flucht zu jagen, und an mir soll es gewiß nicht liegen, wenn sie diesen frechen Einfall in unser Gebiet nicht sehr theuer bezahlen.
– Euer kaiserliche Hoheit wissen, erwiderte der General Voranzoff, daß Sie auf die Bevölkerung von Irkutsk zählen können.
– Gewiß, General, antwortete der Großfürst, und ich erkenne diesen eifrigen Patriotismus gern und unumwunden an. Gott sei Dank ist die Einwohnerschaft noch von den Schrecken einer Epidemie oder der Hungersnoth verschont geblieben, und ich hoffe, das soll nicht anders werden; auf den Wällen aber habe ich nur ihren Heldenmuth bewundern können. Sie hören meine Worte, Herr Vorsteher der Kaufmannsgilde, und ich bitte Sie, dieselben weiter zu verbreiten.
– Ich danke Eurer Hoheit im Namen der Stadt, erwiderte der Angeredete. Darf ich wohl auch fragen, nach welchem längsten Zeitraume auf das Eintreffen von Ersatztruppen zu rechnen ist?
– Höchstens nach sechs Tagen, erklärte der Großfürst. Erst heute Morgen ist ein gewandter und kühner Emissär in die Stadt gekommen, der mir mittheilt, daß fünfzigtausend russische Truppen unter Führung des Generals Kisselef im Anmarsch sind. Vor zwei Tagen befanden sie sich in Kironsk, am Ufer der Lena, und jetzt werden weder Schnee noch Kälte ihren Zug aufzuhalten vermögen. Fünfzigtausend Mann Kerntruppen, welche die Tartaren in der Flanke fassen, werden uns leicht von denselben befreien.
– Ich erlaube mir hinzuzufügen, daß wir sofort, wenn Euer kaiserliche Hoheit einen Ausfall befehlen sollten, bereit sind, diesem Befehle zu folgen.
– Ich danke, mein Herr, sagte der Großfürst. Warten wir es ab, bis die Spitzen unserer Colonnen auf den nächsten Höhen erscheinen, dann wollen wir die Feinde zerschmettern.«
Dann wandte er sich wieder an den General Voranzoff.
»Wir werden morgen, sagte er, die Arbeiten am rechten Ufer besichtigen. Die Angara bringt schon Eisschollen mit, sie wird bald eine feste Decke erhalten und den Tartaren den Uebergang ermöglichen.
– Würden mir Euer Hoheit eine Bemerkung gestatten? fragte der Chef der
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