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Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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erwiderte Harry Blount etwas unwirsch.
    – So wissen Sie auch, daß schon Befehle an die Truppen von Nicolajewks abgegangen sind?
    – Ja wohl, mein Herr, gleichzeitig als man den Kosaken des Gouvernements Tobolsk telegraphisch die Ordre zugehen ließ, sich zu sammeln.
    – Sehr richtig, Herr Blount, auch diese Maßnahmen sind mir vollkommen bekannt, und glauben Sie, meine liebenswürdige Cousine wird schon morgen Einiges davon zu erzählen wissen.
    – Ganz so wie die Leser des Daily-Telegraph davon unterrichtet sein werden, Herr Jolivet.
    – Das kommt davon, wenn man Alles sieht, was ringsum vorgeht …
    – Und wenn man Alles hört, was gesprochen wird!
    – Da wird’s einen interessanten Feldzug zu verfolgen geben.
    – Dem ich mich anschließe, Herr Jolivet.
    – O, dann kann sich’s treffen, daß wir uns auf einem minder sicheren Terrain, als das Parket dieses Saales, wieder begegnen.
    – Wohl einem minder sicheren, aber auch …
    – Einem weniger glatten!« antwortete Alcide Jolivet, der seinen Collegen in den Armen auffing, als dieser eben beim Rückwärtsgehen fast umgefallen wäre.
    Später trennten sich die beiden Collegen, ganz zufrieden, zu wissen, daß Keiner dem Andern um eine Nasenlänge voraus war.
    Jetzt sprangen die Thüren der anstoßenden Säle auf. Dort zeigten sich verschiedene große und prächtig servirte Tafeln, schwer beladen mit kostbarem Porzellan und goldenen Gefäßen. Auf der mittelsten, für die Prinzen, Prinzessinnen und die Mitglieder des diplomatischen Corps reservirten Tafel glänzte ein Tafelaufsatz von unschätzbarem Werthe aus Londoner Werkstätten und rund um dieses Meisterwerk der Juwelierarbeit spiegelten sich unter dem Glanze der Lustres die unzähligen Stücke des herrlichsten Geschirrs, das jemals die Manufacturen von Sèvres verlassen hatte.
    Die Gäste des Neuen Palais begaben sich nach den Speisesälen.
    In diesem Augenblicke näherte sich der General Kissoff, der inzwischen zurückgekehrt war, rasch dem Officier der Gardejäger.
    »Nun, wie steht’s? fragte dieser lebhaft.
    – Die Telegramme gehen nicht über Tomsk hinaus, Sire.
    – Sofort einen Courier!«
    Der Officier verließ den großen Saal und zog sich in ein daneben liegendes großes Gemach zurück. Es war das ein mit Eichenmöbeln sehr einfach ausgestattetes Arbeitscabinet an einer Ecke des Neuen Palais. Einige Bilder, darunter einzelne Oelgemälde von Horace Vernet, hingen an den Wänden.
    Der Officier riß schnell ein Fenster auf, als habe es seinen Lungen an Sauerstoff gemangelt, und sog auf einem mächtigen Balcon die laue Luft der schönen Julinacht ein.
    Vor seinen Augen breitete sich, in sanftes Mondlicht gebadet, eine Art Festungswerk aus, in welchem sich zwischen zwei Kathedralen drei Paläste und ein Arsenal erhoben. Rings um dasselbe die bestimmt unterschiedenen Städte: Kital-Gorod, Boloï-Gorod und Zemlianoï-Gorod, das ungeheure europäische, tartarische und chinesische Quartier, überragt von Thürmen und Minarets, von den Kuppeln der dreihundert Kirchen mit ihren grünen Dächern und dem silbernen Kreuz darauf. Ein kleiner Fluß mit vielgewundenem Laufe glänzte manchmal in den Strahlen des Mondes. Das Ensemble bildete eine wunderbare, verschieden gefärbte Mosaik, welche ein zehn Stunden langer Rahmen umschloß.
    Dieser Fluß war die Moskowa; diese Stadt war Moskau, jenes Festungswerk war der Kreml und jener Officier der Gardejäger, der mit gekreuzten Armen und träumerischer Stirn nur halb den Lärmen des Festes hörte, der sich aus dem Neuen Palais über die alte Stadt der Moskowiter verbreitete – das war der Czar.
     

    Der Officier sog auf einem mächtigen Balcon die laue Luft ein. (S. 15.)
Zweites Capitel.
Russen und Tartaren.
    Wenn der Czar so unerwartet und gerade in dem Augenblicke, als das Fest, welches er den Spitzen der Civil-und Militärbehörden gab, in schönstem Glanze strahlte, die Salons des Neuen Palais verließ, so kam das daher, das sich jenseit des Ural sehr wichtige Ereignisse vorbereiteten. Es war gar nicht zu bezweifeln: eine furchtbare Invasion drohte die sibirischen Provinzen der russischen Autonomie zu entziehen.
    Das asiatische Rußland oder Sibirien bedeckt eine Oberfläche von 560.000 Quadratmeilen (französische Lieues) und zählt etwa zwei Millionen Einwohner. Es erstreckt sich von dem Gebirgszuge des Ural, der es von dem europäischen Rußland trennt, bis nach dem Gestade des Pacifischen Oceans.
    Nach Süden zu schließt es Turkestan und das

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