Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1
fühlt. Aus dem Lautsprecher quäkt Al Bano, an der umbrafarbenen Wand hängen Ölbilder von Neapel und Palermo, die Kellner sind klein, robust und flink und heißen Luigi, Sergio oder Alfredo. Die Luft ist geschwängert von Rotwein und Pesto. In einer solchen Atmosphäre regt sich in uns unweigerlich das Bedürfnis, die deutsche Identität abzustreifen und die Illusion von »la dolce vita«
und »bella Italia« nicht durch falsche Aussprache all der Köstlichkeiten auf der Speisekarte frühzeitig zerplatzen zu lassen.
Sie bestellt einen Insalata mista und die überbackenen Spinat-Gnocchi, wobei sie die dicken Kartoffellarven
»Gnotschi« ausspricht. Da sagt er zu ihr: »Schatz, es heißt nicht Gnotschi, sondern Njokki!« — »Woher willst du das wissen?«, gibt sie leicht pikiert zurück. »Weil das h das c erhärtet, so wie in Pinocchio. Der heißt ja schließlich nicht Pinotschio«, sagt er. Sie schaut zum Kellner auf und lächelt irritiert: »Also gut, dann nehme ich doch lieber die Spaghetti alla rabiata« — »Schatz, es heißt all'arrabbiata«, flüstert er und tätschelt ihre Hand.
»Das hab ich doch gesagt!«, erwidert sie gereizt und zieht ihre Hand zurück. »Aber du hast es falsch betont«, sagt er. »Weißt du was?«, sagt sie, »dann bestell du doch das Essen!« — »Wie du willst, mein Schatz! Möchtest du nun die Gnocchi oder die Spaghetti?« —» Ist mir ganz egal.« – »Gut. Dann nehmen wir zwei Insalate miste und zweimal die Njokki.« — »Sehr recht«, sagt der Kellner in fließendem Deutsch und notiert die Order. »Und welchen Wein wollen Sie trinken?« — Der Gast blickt seine Begleiterin an und fragt: »Schatz, welchen Wein möchtest du?« Ihr Blick fliegt über die Karte auf der Suche nach irgendetwas, das ihr bekannt vorkommt.
»Tschianti«, sagt sie schließlich, woraufhin er sich zu verbessern beeilt: »Du meinst Kianti!« Während des Essens ist die Stimmung so lala; aus lauter Angst, etwas Falsches zu sagen, lenkt sie das Gespräch freiwillig auf Themen wie Tennis, Fernsehen und sogar Politik. Beim Nachtisch kommt es dann zur Katastrophe. Als der Kellner fragt, ob sie noch einen Kaffee wünschen, sagt sie zu ihrem Liebsten: »Ach ja, einen Espresso können wir noch trinken, nicht wahr?« Er nickt, woraufhin sie zum Kellner sagt: »Also zwei Espresso, bitte.« Da sagt er zu ihr: »Schatz, es heißt Espressi! Ein Espresso, zwei Espressi.« Sie zieht einen Schmollmund, der Kellner notiert: »Zwei caffe, kommt sofort!« — »Nein, warten Sie, nicht Kaffee, wir wollen zwei Espressi«, stellt er klar. »Si, si«, sagt der Kellner, »due caffe! In Italia ist caffe immer ein espresso!« Und mit einem verschmitzten Lächeln fügt er hinzu:» Das, was man in Deutschland unter Kaffee versteht, würde ein Italiener niemals an-rühren!«
Den Triumph in ihrem Blick kann er nicht verwinden, und auf dem Nachhauseweg sprechen die beiden kein Wort miteinander.
So kann es kommen, wenn man in typisch deutscher Manier mal wieder besonders vorbildlich sein und alles genau richtig machen will. Dabei sind wir Deutschen so ziemlich das einzige Volk auf der Welt, das sich bemüht, Wörter aus einer fremden Sprache korrekt auszusprechen, und vermeintlich falsche, das heißt zu deutsch klingende Aussprache bei anderen kritisiert. Über einen derartigen Eifer können beispielsweise die Franzosen nur verständnislos den Kopf schütteln. Zwar entlehnen auch sie zunehmend häufig Wörter aus dem Englischen, aber einem Nicht-Franzosen fällt dies kaum auf, denn die Franzosen sorgen mit ihrer Aussprache dafür, dass jedes noch so fremde Wort wie ein original französisches klingt.
Schon so manche Hausfrau hat ihren Freundinnen voller Stolz ihre neue » Expresso-Maschine « vorgeführt und ist dafür belächelt worden. Tatsächlich hat sie nichts anderes getan, als ein Fremdwort einzudeutschen. Die leichte Veränderung des Zischlautes hinter dem »E« ist nicht gravierender als bei der Umwandlung der
»cigarette« zur »Zigarette«.
Dabei ist es eher peinlich, ein italienisches Wort in einer Weise auszusprechen, die man für italienisch hält, ohne es beweisen zu können. Latte macchiato, der umgekehrte Milchkaffee, wird nicht etwa »laste matschiato« oder »laste matschato« ausgesprochen, sondern »laste mackiato«. Das Wort »macchiato« ist übrigens mit dem deutschen Wort »Makel« verwandt und bedeutet »befleckt«. Ein »caffe macchiato« ist ein (mit Milch) »befleckter« (das heißt
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