Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2
Besonderheit
feststellen: Während die Frauen anderer Länder einfach
durch Anhängen der Silbe»-in« geformt werden (Engländer +
in = Engländerin, Spanier + in = Spanierin, Iraker + in = Ira-
kerin), wird dem Deutschen zwecks Erschaffung einer Frau
nichts angehängt, sondern abgeschnitten: ein Deutscher − r =
eine Deutsche. Auch die weibliche Form geht auf ein Ad-
jektiv zurück und wird daher wie ein Adjektiv dekliniert. So
wie die Alte, die Dumme, die Schöne und die Biestige.
Im Plural wird es nicht besser. Was − mit bestimmtem Ar-
tikel − »für die Deutschen« gilt, das gilt − unbestimmt − »für
Deutsche«. Steht vor den Deutschen gar ein Pronomen oder
ein Attribut, ist die Verwirrung komplett. Heißt es nun »wir
Deutsche« oder »wir Deutschen«? Besteht dieses Problem
nur für »einige Deutsche«, oder besteht es für »alle Deut-
schen«? Nicht einmal Horst Köhler kann sicher sagen, ob er
als Bundespräsident für uns Deutschen spricht oder für uns
Deutsche.
Der Duden erklärt, dass zwei Formen nebeneinander
existieren, eine starke (»wir Deutsche«) und eine schwache
(»wir Deutschen«). Die starke sei allerdings auf dem Rück-
zug; die schwache Form setze sich mehr und mehr durch.
Richtig sind nach wie vor beide, es bleibt also jedem selbst
überlassen, welcher Form er den Vorzug gibt.
Das Sprühwerk an der Wand bleibt trotzdem falsch. Selbst
wenn man »Scheiße« in »Scheiß« verwandelte, das defekte
»seh« reparierte und mittels Trompe-l’Œil-Technik die Illu-
sion von Zusammenschreibung erzeugte, so wäre da immer
noch die störende Endung. Man müsste folglich entweder
das »n« übertünchen − oder aber ein »Ihr« davorsetzen, dann
würde es wieder richtig. Wahlweise auch ein »Wir« − je nach
Standpunkt des Betrachters. Ob nun aber − den Scheiß mal
beiseite gelassen − »wir Deutsche« oder »wir Deutschen«
besser klingt- ich vermag es nicht zu sagen. Das Klügste wird
sein, ich beantrage die dänische Staatsbürgerschaft, denn
mit denen (also Dänen) gibt es in grammatischer Hinsicht
kein Vertun.
Liebe Verwandte oder liebe Verwandten?
Frage eines Lesers: Immer wieder zu den Festtagen kursieren
familiäre Rundbriefe, die nicht selten mit der Anrede »Liebe
Freunde und Verwandten« beginnen. Meinem Gefühl nach
müsste es korrekterweise»Liebe Freunde und Verwandte«
heißen. Liege ich richtig? Ich erwarte gespannt Ihre Antwort
und grüße recht herzlich!
Antwort des Zwiebelfischs: Ihr Gefühl täuscht Sie nicht −
der Nominativ des unbestimmten Substantivs »Verwandte«
lautet »Verwandte«. Da in der Anrede stets der Nominativ
gebraucht wird, heißt es folglich »Liebe Verwandte«.
Der Nominativ des bestimmten Substantivs lautet hingegen
»die Verwandten«, man grüßt oder begrüßt daher »die
lieben Verwandten«. Mit den Verwandten verhält es sich ge-
nau wie mit den Deutschen, auch sie sind aus einem Adjektiv
hervorgegangen und haben daher zwei unterschiedliche
Formen. Es kommt eben darauf an, ob ihnen ein bestimmter
Artikel (»die«) vorausgeht oder nicht.
Fress oder sterbe!
Befehl ist Befehl, das hat jeder irgendwann schon mal gehört. Doch
längst nicht jeder Befehl ist richtig formuliert. Einige provozieren
mit unsachgemäßer Grammatik Gehorsamsverweigerung. Ein Kapi-
tel über den viel geschundenen Imperativ.
Nach dem Tod der alten Frau Schlötzer kam ihr Hündchen
»Tuffy« zu Werner und Annegret. Werner wollte ja schon
immer einen Hund haben, allerdings keinen »Tuffy«, son-
dern eher einen »Hasso« oder einen »Rocko«, aber man
kann es sich im Leben eben nicht immer aussuchen. Nun
steht Werner in der Küche und macht zwei Dosen auf,
zunächst eine mit Hundefutter für Tuffy, dann eine mit
Stärkungsbier für sich selbst, denn Dosenöffnen macht
durstig. Er stellt Tuffy den Napf vor die Nase und sagt: »Da,
dat is’ für dich! Nu fress mal schön!« Tuffy blickt sein neues
Herrchen neugierig an, macht aber nicht die geringsten
Anstalten, der Aufforderung Folge zu leisten.»Wat is’
denn?«, knurrt Werner. »Haste keinen Appetit? Los, fress!«
Tuffy wedelt mit dem Schwanz, doch er rührt den Napf nicht
an. »Anne, der Hund will nich’ fressen!«, ruft Werner.
»Vielleicht isser krank?« Die Gerufene kommt herbeigeeilt,
kniet sich zu Tuffy hinab, streichelt ihn und sagt: »Komm,
Tuffy, friss!« Und sofort steckt der Hund seine Schnauze in
den Napf und beginnt mit
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