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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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Sitzung.«Zugegeben, der Satz ist nicht ge-
    rade kurz, aber das allein rechtfertigt nicht, ihn aufs Gerate-
    wohl irgendwo in der Mitte aufzuschlitzen. Das Komma vor
    »gaben« ist falsch, daran ändern auch endlose Debatten und
    immer neue Vorschläge nichts.
    Adverbiale Bestimmungen können sogar noch um einiges
    länger sein und werden trotzdem nicht mit einem Komma
    vom Satz abgetrennt: »Einen Tag nach dem Absturz einer
    ägyptischen Chartermaschine über dem Roten Meer, tau-
    chen erste Hinweise auf schwere Sicherheitsmängel bei der
    Airline auf.« Auf der gekräuselten Stirn des Grammatik-
    freundes tauchen indes ernste Zweifel an der Notwendigkeit
    des Satzzeichens vor »tauchen« auf.
    Gefühlte Kommas verunstalten Zeitungsartikel, Briefe, E-
    Mails und öffentliche Hinweise: »Außerhalb der Som-
    mermonate, ist das Cafe nur bis 16 Uhr geöffnet«, steht auf
    einem Schild an einem Ausflugslokal am See. Es ist nicht
    schwer, sich auszumalen, wie so ein Schild entsteht. Der Er-
    win malt es und ruft dann seine Roswita »zum Gucken«.
    Roswita kommt und guckt, und weil sie meint, dass sie ir-
    gendetwas dazu sagen müsse, sagt sie: »Da fehlt noch was.«
    − »Wat denn?«, fragt Erwin. »Weiß nich’«, sagt Roswita,
    »aber irgendwas fehlt, das spür ich genau.« − »Also, der
    Strich über Cafe kann’s nicht sein, der ist da, wie du siehst.«
    − »Nee, das mein ich auch nich’. Irgendwas anderes. Ein
    Komma oder so.« − »Ein Komma? Wo denn?« −»Da, wo die
    Stimme beim Lesen hochgeht, da muss ein Komma hin.«
    Erwin liest den Text des Schildes noch einmal laut vor, al-

    lerdings ohne die Stimme an irgendeiner Stelle anzuheben.
    »Du liest das falsch«, sagt Roswita. »Außerhalb der Som-
    mermo-na-tee…« Sie zieht das e in die Länge wie ein Gummi-
    band und hebt die Stimme, als wollte sie singen. Dann
    macht sie eine bedeutungsvolle Pause und sieht Erwin an.
    »Hier, meinst du?«, fragt er. Roswita nickt. Also nimmt Er-
    win den Stift und malt ein Komma hinter die Sommermo-
    nate. Doch wir ahnen es längst: Mit ihrem Gefühl lag Ros-
    wita falsch. Zwar stimmt es, dass das Komma oft dort zu
    finden ist, wo die Satzmelodie ihren Höhepunkt erreicht.
    Grundsätzlich aber erfüllt das Komma keine musikalische
    Funktion, sondern eine syntaktische.
    »Im Unterschied zu seinem Freund Konrad hat Paul kei-
    nen Klavierunterricht genossen.« Manchem Leser mag es
    bei diesem Satz in den Fingern jucken, den einen oder ande-
    ren wird das spontane Bedürfnis überwältigen, zwischen
    »Konrad« und »hat Paul« ein Komma zu setzen. Doch das
    Kribbeln und die Überwältigung beruhen auf einer Täu-
    schung. Denn auch hier handelt es sich um nichts weiter als
    um eine adverbiale Bestimmung.
    Was eine solche von einem Nebensatz unterscheidet, ist das
    sogenannte »Prädikat«, der grammatische Kern, das ge-
    beugte Verb. Im Unterschied zur adverbialen Bestimmung
    zeichnet sich ein Nebensatz immer durch das »Prädikat:
    verbvoll «aus:
    »Nach Verlassen des Klassenzimmers...« Kam bislang ein Prädi-
    kat? Nein! Und deshalb kommt hier auch kein Komma! «... brachen
    die Schüler in Gelächter aus.«

    »Nachdem sie das Klassenzimmer verlassen hatten ...« Da!
    Das war ein Prädikat! Jetzt muss ein Komma her! »..., brachen die
    Schüler in Gelächter aus.«

    Und gleich noch mal:
    »Vor Anbruch des nächsten Tages [...?...] wollten sie Kap-
    stadt erreicht haben.«
    »Bevor der nächste Tag anbrach, wollten sie Kapstadt er-
    reicht haben.«
    Einige meinen darin einen weiteren lästigen Anglizismus zu
    erkennen. Denn im Englischen wird die adverbiale Ergän-
    zung gelegentlich durch ein Komma abgetrennt: »After the
    rain, the sun shines again.« Das mag zwar richtig sein, doch
    inwieweit dieser englische Brauch Einfluss auf die deutsche
    Zeichensetzung hat, ist schwer zu beweisen. Sollte im Fall
    der gefühlten Kommas die englische Sprache als irreführen-
    des Vorbild dienen, so hieße das ja, dass all diejenigen, die
    Probleme mit den deutschen Interpunktionsregeln haben,
    sich dafür umso besser mit den englischen auskennen.
    Demzufolge könnten ungefähr 95 Prozent der Deutschen
    besser Englisch als Deutsch.
    Im Englischen gibt es andere Regeln, aber anscheinend
    ähnliche Probleme. Auch dort werden Kommas oft nach
    Gefühl gesetzt − mit zum Teil viel gravierenderen Auswir-
    kungen als im Deutschen, denn der Beistrich hat im Engli-
    schen eine noch größere Bedeutung als bei uns. Die

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