Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)
Ein paar Worte vorweg
Willkommen im Todestal des Genitivs! Dieses Buch wird Ihnen als Reiseführer auf einem abenteuerlichen Rundgang durch die Wildnis der deutschen Sprache dienen. Es zeigt Ihnen, wie man sich mit der Machete einen Weg durch widerspenstiges grammatisches Gestrüpp schlagen kann, es führt Sie um syntaktische Fallgruben herum, weist Sie auf orthografischen Treibsand hin und bringt Sie sicher übers stilistische Glatteis.
Lehrbücher über die deutsche Sprache gibt es viele. Aber nur wenige davon werden freiwillig gelesen. Das liegt vermutlich an ihrer Rezeptur: größtmögliche Akribie und pädagogischer Eifer, geringstmöglicher Unterhaltungswert. Dieses Buch ist anders.
Zunächst einmal ist es kein Lehrbuch, allenfalls ein lehrreiches Buch. Sie können es von vorn nach hinten lesen oder von hinten nach vorn oder einfach irgendwo mittendrin anfangen. Die Orientierung verlieren können Sie dabei nicht, denn überall sind Hinweisschilder aufgestellt, die Ihnen helfen, sich im Irrgarten der deutschen Sprache zurechtzufinden.
Dieses Buch versammelt die Artikel der Kolumne »Zwiebelfisch«, die wöchentlich auf SPIEGEL ONLINE erscheint. Im Mai 2003 nahm ich als frisch gebackener Kolumnist die Herausforderung an und zog mit flatternden Fahnen und bunt bemalten Schilden gegen falsches Deutsch und schlechten Stil zu Felde. Da die Rolle des grimmigen Erbsenzählers und desillusionierten Sprachzynikers, der den Untergang des Abendlandes für unausweichlich hält, bereits von zahlreichen anderen Autoren besetzt ist, versuchte ich es als ironischer Geschichtenerzähler. Meine ersten Attacken galten abgedroschenen Phrasen, unerträglichen Modewörtern, lästigen Anglizismen und Unwörtern aus dem Journalisten- und Politikerjargon. Ein Kampf gegen Windmühlen, daran konnte von Anfang an kein Zweifel bestehen.
Doch mit erstaunlicher Geschwindigkeit verbreiteten sich die kleinen Botschaften des »Zwiebelfischs« im Internet und riefen von Mal zu Mal stärkere Resonanz hervor. Der Don Quichotte fand Tausende Sancho Pansas, die bereit waren, ihm die Lanze zu halten, und die Windmühlen landauf, landab begannen zu zittern.
Längst geht es in meiner Kolumne nicht mehr allein um Fragen des journalistischen Stils. Die wöchentlich steigende Flut von E-Mails mit Anregungen und Fragen zeigte alsbald, dass das Interesse der »Zwiebelfisch«-Leser weit über die kleineren und größeren Unfälle der Nachrichtensprache hinausging. Es richtete sich auf die vielen Zweifelsfälle der deutschen Sprache im Allgemeinen: Wann wird eigentlich noch der Genitiv gebraucht, wie werden englische Verben im Deutschen konjugiert, wo setzt man ein Fugen-s und wo nicht, wie lautet der Plural von diesem oder jenem Fremdwort, was verbirgt sich hinter dieser oder jener Redewendung?
Das Bedürfnis nach Aufklärung und Klarstellung ist immens. Das liegt aber keinesfalls daran, dass das Volk der Dichter und Denker geistig auf den Hund gekommen wäre, auch wenn PISA und das sprachliche Niveau in den Krawalltalkshows der privaten Fernsehsender einen solchen Schluss nahe legen. In Wahrheit ist unsere Schulbildung immer noch besser als ihr Ruf, und viele der Fehler, die heute gemacht werden, sind gar nicht neu, sondern haben schon frühere Generationen geplagt.
Die große Verunsicherung darüber, was richtiges und gutes Deutsch ist, hat viele verschiedene Ursachen. Eine lautet, dass wir, egal ob Nord- oder Süddeutsche, Rheinländer oder Sachsen, Österreicher oder Schweizer, allesamt Dialektsprecher sind. Die meisten Dialekte greifen nicht nur in die Aussprache ein, sondern auch in die Grammatik, und jede Mundart hat ihr eigenes Vokabular.
Im Zuge der Wiedervereinigung waren Millionen Ostdeutsche gezwungen, sich mit einer Sprache auseinanderzusetzen, die sie so bisher nicht kannten. Das von Amerikanismen und modischen Blähwörtern durchsetzte Deutsch der Westdeutschen war den Einwohnern der neuen Bundesländer in vielerlei Hinsicht genauso unverständlich wie das für sie neue Steuer- und Versicherungssystem.
Eine rapide Zunahme der Verunsicherung ergab sich auch aus der Rechtschreibreform, deren Urheber eigentlich vieles einfacher und logischer machen wollten. Seitdem ist Deutschland ein Jammertal, durch das orientierungslose Wanderer zwischen alter und neuer Orthografie verwirrt umhergeistern.
Dabei haben die meisten von uns im Grunde ein völlig intaktes Sprachgefühl und wissen, an welcher Stelle sie welches Wort zu gebrauchen haben und
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