Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)
Belgien. Darum trägt die FDP zusätzlich zur Farbe Gelb auch noch Blau, gewissermaßen als Untertitel, damit sie auch im Ausland verstanden wird.
In Belgien haben im Mai 2003 die Liberalen und die Sozialdemokraten die Parlamentswahlen gewonnen. Prompt schrieb ein deutscher Redakteur von einem »Wahlsieg für Gelb-Rot«. Nur sind die belgischen Liberalen eben nicht gelb, sondern blau, aber wer könnte sich hierzulande auch schon etwas unter einer blau-roten Koalition vorstellen? Vielleicht ist der schnelle Griff zum Farbtopf doch nicht immer ganz so empfehlenswert. Wer die Parteienlandschaft unserer westlichen Nachbarn mit Hilfe von Farben erklären will, muss sich nämlich in der Farbenlehre auskennen.
Wim Kok, von 1994 bis 2002 Ministerpräsident der Niederlande, führte eine sozialliberale Koalition an. Die Niederländer nannten sie aber nicht rot-blau, sondern mischten die beiden Farben kurzerhand zusammen. Und Rot und Blau ergibt? Richtig: Violett. So wurde Koks Kabinett »Paars« genannt, das niederländische Wort für Violett.
Vor der Wahl hatten die Belgier sogar eine Dreierfarbkombi aus Blau, Rot und Grün, verkürzt »Paars-Groen«, »Lila-Grün«, genannt. Wieder einmal zeigt das alte Europa, dass es vielfältiger ist als die USA, wo das Farbspektrum vom amtierenden Präsidenten auf Schwarz und Weiß reduziert worden ist.
In Großbritannien, dem Land, in dem bekanntlich vieles, wenn nicht gar alles verkehrt herum funktioniert, bedeuten auch die Farben etwas anderes: Blau steht dort für die Konservativen, und die sozialliberale Koalition der Schotten ist rot-rot-gelb, da die Liberalen die Farben Rot und Gelb tragen. Gelb als Solofarbe ist schon von den schottischen Nationalisten besetzt, und wer im Vereinten Königreich von »Rot-Grün« spricht, der hat womöglich nicht Sozis und Ökos, sondern die walisischen Nationalisten im Sinn.
Wer im europäischen rot-gelb-grün-lila-blauen Durcheinander den Überblick zu verlieren droht, der ist möglicherweise besser beraten, den Pinsel aus der Hand zu legen und die Parteien einfach bei ihrem Namen zu nennen.
Deutschland, deine Apostroph’s
Über dem hölzernen Kahn prangte in grellen Neonbuchstaben der Schriftzug »Noah’s Arche«. Und sie kamen alle: Petra’s Hamster, Susi’s Meerschweinchen, Indien’s Elefanten, Australien’s Känguru’s, selbst Marabu’s und Kolibri’s. Sie flohen vor dem alles verheerenden Häk’chen-Hagel. Doch es war zu spät: Die Welt versank, und übrig blieb am Ende – nicht’s.
Zähneknirschend nahm man es hin, dass im trüben Fahrwasser der Rechtschreibreform mit einem Mal »Helga’s Hähncheneck« und »Rudi’s Bierschwemme« höchste Weihen erhielten und offiziell sanktioniert wurden. Der von vielen gescholtene so genannte Deppen-Apostroph war über Nacht salonfähig geworden. Nun ja, vielleicht noch nicht salonfähig, aber zumindest imbissbudenfähig. Wenn Oma morgens ihr kleines Restaurant aufschließt und die Beleuchtung einschaltet, braucht sie sich nicht mehr zu schämen, dass draußen die mondäne Aufschrift »Oma’s Küche« prunkt. Stolz erhobenen Hauptes kann sie sagen: »Was habt ihr denn? Ist doch richtig so! Steht sogar im Duden’s!«
Tatsächlich: Dort – wie auch in anderen Standardwerken zur deutschen Sprache – heißt es in Übereinstimmung mit den neuen amtlichen Regeln: »Gelegentlich wird das Genitiv-s zur Verdeutlichung der Grundform des Namens auch durch einen Apostroph abgesetzt.«
Man beachte die Wortwahl: gelegentlich. Das klingt wie: »Einige können es eben nicht lassen.« Und um sein Unwohlsein noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen, fügt der Duden fast trotzig an: »Normalerweise wird vor einem Genitiv-s kein Apostroph gesetzt.«
Ach ja, die gute alte Normalität! – als »Clarissa’s Hairstudio« noch »Frisörsalon Lötzke« hieß –, wo ist sie hin?
»Man sieht sich immer zweimal!«, weissagte der sächsische Genitiv nicht ohne Häme, als er sich anschickte, im Gefolge der Angeln und Sachsen nach Britannien auszuwandern. Er sollte Recht behalten. Er kehrte zurück – und wie! Doch kurioserweise nicht aus dem Westen (wo man allgemein den Ursprung aller Anglizismen vermutet), sondern aus dem Osten. Denn im Verbund mit D-Mark und Marktwirtschaft wurde nach der Wende in Ostdeutschland auch der Apostroph eingeführt. Keine Geschäftseröffnung, kein neues Ladenschild ohne das obligatorische Häkchen. Die Apostroph-Euphorie schwappte in den Westen zurück und schwappt
Weitere Kostenlose Bücher