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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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Personen auf: Wer die Katze des Nachbarn meint, der kann außer am Nachber sei Katz oder d’ Katz vom Nachber auch noch ’s Nachber Katz sagen, und dieses ’s ist ein Überbleibsel des Artikels »des« und somit ein Beweis für die Existenz eines schwäbischen Wes-Falles 1 .
    Die Sprache steckt nicht nur voller Missverständnisse, sondern auch voller Ironie und bisweilen unfreiwilliger Komik. Dass der Genitiv mit dem »s« am Ende ausgerechnet als »sächsischer Genitiv« bezeichnet wird, erscheint geradezu absurd. Denn mit dem Genitiv hat das Sächsische heute nicht mehr viel zu tun.
    Das Bairische erst recht nicht. Im Lande des exzentrischen Märchenkönigs Ludwig II. ist der Genitiv schon vor Jahrhunderten in irgendeinem riesigen Maßkrug ertrunken. Des Königs Cousine ist »am Kini sei Basn«, wobei »am« hier nicht als Präposition zu verstehen ist, sondern – genau wie im Schwäbischen – als unbetonter männlicher Artikel: dem König seine Base also. Anders ausgedrückt: die Sisi 2 .
     
    Das beste Hochdeutsch wird ja angeblich in der Region Hannover gesprochen. Das wird jedenfalls immer wieder behauptet, besonders von Hannoveranern. Und ausgerechnet dort findet man einen Dativ in Stein gehauen, der es in sich hat: Vor dem Bahnhof in Hannover steht ein Reiterdenkmal, das Ernst August von Hannover zeigt. Nicht den mit dem Regenschirm und dem befeuchteten türkischen Pavillon, sondern den einstigen König. Und dessen Pferd natürlich. In den Sockel sind die Worte eingemeißelt:
     
    DEM LANDESVATER
    SEIN TREUES VOLK
     
    Das ist zugegebenermaßen etwas missverständlich. Hätte der Graveur hinter den »Landesvater« einen Gedankenstrichgesetzt, wäre die Sache klar, dann läse sich die Inschrift so, wie sie aller Wahrscheinlichkeit nach gedacht war: »Dem Landesvater (gewidmet) – (gezeichnet:) sein treues Volk«.
    Ohne Gedankenstrich aber liest man die Inschrift in einem Rutsch durch und wundert sich: Sollte dies am Ende gar kein Denkmal für den König sein? Hatte es vielmehr der König selbst in Auftrag gegeben, um sein Volk zu ehren? Wenn das zutrifft, dann hatte Ernst August offenbar eine Genitiv-Schwäche; denn in korrektem Hochdeutsch hätte es »Des Landesvaters treuem Volk« heißen müssen. Oder aber der Graveur war ein heimlicher Marxist und hat die Widmung für den König extra so gesetzt, dass man sie auch als Widmung für das Volk deuten konnte. Doch das sind Spekulationen. Wahrscheinlicher ist, dass dem Graveur sein subversives Handeln gar nicht bewusst war und dass er in Wahrheit ein unbescholtener Mann war – denn im Königreich Hannover galt wie überall: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Heute würde man wohl sagen: Wem sein Brot ich ess, dem sein Lied ich sing.
    1 So nachzulesen bei Wolf-Henning Petershagen: »Schwäbisch für Durchblicker«, Theiss-Verlag, Stuttgart 2004, S. 56.
    2 Auch bekannt als Sissi.

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    Die reformierte Reform
    Am 1. August 2006 trat die Rechtschreibreform endgültig in Kraft. Zuvor war sie noch einmal gründlich zurechtgestutzt worden. Übrig blieb ein Kompromiss, der niemandem mehr weh tut – oder wehtut. Denn im Zweifelsfall gilt sowohl die alte als auch die neue Schreibung. Das gleiche Theater gab es übrigens vor hundert Jahren schon einmal.
    Ein volles Jahrzehnt tobte der Reformationskrieg in Deutschland. Als im Juli 1996 die Vertreter der deutschsprachigen Länder in Wien eine Erklärung über die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung unterzeichneten, sollte damit ein Schlusspunkt unter die Reform gesetzt werden. Tatsächlich kam die Debatte danach erst richtig in Gang, und unter dem Druck der Öffentlichkeit wurde die Reform erneut reformiert – wieder und wieder.
    Wenn man bedenkt, dass die Väter der Reform sehr viel radikalere Ideen hatten, dass ursprünglichen Plänen zufolge sogar die Großschreibung von Hauptwörtern abgeschafft werden sollte, dann ist das neue Regelwerk kaum mehr als eine harmlose kosmetische Korrektur der alten Orthografie. Ein Känguru hier, ein Delfin da – damit lässt sich leben. Wer empört ausruft, die Abschaffung des »ph« sei ein Sakrileg, der sei nur darauf hingewiesen, dass Wörter wie Fotografie und Telefon schon seit vielen Jahrzehnten ohne »ph« geschrieben werden. Also werden wir uns auch an den Delfin gewöhnen.
     
    Dass man Mayonnaise jetzt auch Majonäse schreiben kann und Ketchup auch mit »sch« (Ketschup), hat mich nie gestört. Auch platzieren mit »tz« und nummerieren mit »mm« hielt

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