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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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ich für akzeptabel. Fremdwörter sind schließlich schon immer eingedeutscht worden. Wer würde heute die Zigarette noch mit »C« oder das Büro wie im Französischen »bureau« schreiben wollen? Vor einiger Zeit stöhnte mir jemand vor, er könne die Schreibweise »platzieren« mit »tz« nicht ertragen. Das sei doch ein Fremdwort und müsse daher mit »z« geschrieben werden. Ihm würde es in den Augen brennen, wenn er das sähe! Ich hatte wenig Mitleid mit ihm. Wenn er gegen die Eindeutschung von Fremdwörtern sei, entgegnete ich, warum beharre er dann auf der Schreibweise mit »z«? Früher schrieb man das Wort mit »c«: placieren, denn es kommt vom französischen »placer«. Die Form »plazieren« war bereits eine halbe Eindeutschung. Ob ihm halbe Sachen lieber seien als ganze, habe ich ihn gefragt. Darauf wusste er nichts zu erwidern.
     
    Wenn es Gründe gab, sich über die Reform zu ereifern, dann lagen die nicht in neuen Schreibweisen wie Biografie und Portmonee. Einige Änderungen wurden ja sogar begeistert aufgenommen. Zum Beispiel die Abschaffung der Regel »Trenne nie s-t, denn es tut ihm weh«, für die es keine überzeugende Begründung mehr gab, seit Ligaturen aus der Mode geraten sind. Zahlreiche Befürworter fand auch die neue ss/ß-Regel, die ein Eszett (das sogenannte scharfe »S«) nur noch hinter langen Vokalen und Diphthongen (ei, au, äu, eu) zulässt. Hinter kurzen Vokalen steht indes Doppel-s, auch am Wortende: der Fluss (kurzes u), das Floß (langes o); der Schlosshund (kurzes o), der Schoßhund (langes o), der Strass (kurzes a), die Straße (langes a). Schließlich wurde auch der Beschluss, substantivierte Adjektive in Fügungen wie »im Stillen«, »im Dunkeln«, »im Allgemeinen« großzuschreiben, willkommen geheißen.
     
    Das wesentliche Problem – und somit erheblicher Nachbesserungsbedarf – zeigte sich auf dem Gebiet der Zusammen-und Getrenntschreibung. Da waren nämlich Wörter »auseinander gerissen« worden, die in zusammengeschriebener Form nie ernsthafte Probleme bereitet hatten. Der diensthabende Offizier war zum »Dienst habenden« Offizier degradiert worden, der gutaussehende Schauspieler musste sich mit der Rolle des »gut aussehenden« Schauspielers abfinden, und die milchproduzierende Wirtschaft war still-gelegt worden und durfte als »Milch produzierende« Wirtschaft neu anfangen. Die autofahrende Bevölkerung war zur »Auto fahrenden« Bevölkerung geworden, und die selbstgemachte Konfitüre war plötzlich nur noch als »selbst gemachte« Konfitüre zu haben.
    Die blindwütige Trennung natürlich zusammengewachsener Wörter war es, die schließlich auch die Intellektuellen der Republik gegen die Reform aufbrachte. Weitreichende Maßnahmen sollten nur noch »weit reichend« sein, grund- legende Veränderungen hingegen »grundlegend« bleiben – weil »weit« ein steigerungsfähiges Adjektiv ist, »grund« hingegen ein »verblasstes Hauptwort«.
    Die Reform wollte die Orthografie vereinfachen, stattdessen wurde die Sache immer komplizierter; denn bevor man wissen konnte, ob man zwei Wörter, die zusammen einen neuen Begriff ergaben, getrennt- oder zusammenschreiben darf, musste man sich Klarheit über die Wortart verschaffen: Ist der erste Teil ein Adjektiv, wenn ja, lässt es sich womöglich erweitern oder gar steigern? Ist der zweite Teil ein Partizip? Und was ist überhaupt ein Partizip? Die Sache war bald nicht mehr zu durchschauen.
    Und so wurde der Protest immer lauter. Intellektuelle wie Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki entrüsteten sich, Zeitungsverlage kündeten die Rückkehr zur alten Schreibweise an, und immer mehr Menschen in Deutschland erklärten sich zu Totalverweigerern der Reform.
     
    Seit 2004 bemühte sich ein 39-köpfiger »Rat für deutsche Rechtschreibung« unter der Ägide des CSU-Politikers Hans Zehetmair, das drohende Scheitern der Reform abzuwenden. Man versuchte zu retten, was zu retten war, indem man den größten Unfug möglichst diskret wieder rückgängig machte. Der ehemals frischgebackene Ehemann, der seit 1998 ein »frisch gebackener« Ehemann war, durfte 2004 wieder als »frischgebackener« Ehemann auftreten. Überhaupt war jetzt sehr viel von »kann«-Bestimmungen und von »sowohl als auch« die Rede. Das machte es für die Deutschlehrer nicht gerade leichter, half aber, das laute Gezeter der Reformgegner zu dämpfen – ein Kompromiss eben.
    Den ersten Modifizierungen folgten weitere. Am Ende war die Reform kaum mehr als

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