Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3
ein Reförmchen; unterm Strich ist das meiste beim Alten geblieben. Und so stellte die »Berliner Zeitung« treffend fest: »Zehn Jahre hat es gebraucht, um wieder dort anzukommen, wo man aufgebrochen ist.«
Die umstrittenen neuen Schreibweisen wurden teils zurückgenommen, teils durch Wiederzulassung der alten Schreibweisen relativiert. Mit Erleichterung habe ich zur Kenntnis genommen, dass man das Wort »lahmlegen« jetzt wieder (wie früher) in einem Wort schreiben darf. So wie »stilllegen«, das man ebenfalls in einem Wort schreibt. Mir wollte nie einleuchten, warum man das eine plötzlich getrennt schreiben sollte und das andere nicht.
Mit dem Inkrafttreten der Reform ging eine der längsten Arien der Operngeschichte zu Ende. Und zum Glück keine A-rie der O-perngeschichte, denn die ästhetisch äußerst fragwürdige Entscheidung, einzelne Vokale abtrennen zu dürfen (Bi-omüll, Zwecke-he), ist ebenfalls wieder rückgängig gemacht worden.
Infratest hat eine Umfrage durchgeführt, die zu folgendem Ergebnis kam: Mehr als zwei Drittel der Deutschen (nämlich 68 Prozent) schreiben weiterhin nach den klassischen Rechtschreibungsregeln. Nur 19 Prozent richten sich komplett nach der neuen Regelung, und 12 Prozent verwenden dagegen eine Mischung aus alter und neuer Rechtschreibung.
Diese Angaben setzen freilich voraus, dass die Befragten genau wussten, was alte und was neue Rechtschreibung ist. Daran habe ich so meine Zweifel.
Mehrmals habe ich erlebt, dass Menschen, die sich über die Reform beklagten, als Beispiel das Wort »Albtraum« anführten, das sie immer schon mit »b« geschrieben hätten, weil es doch nichts mit den Alpen zu tun habe, sondern mit Alben (= Elfen). Da wurde mir klar, dass diese Menschen nicht gründlich informiert waren, denn die Schreibweise »Albtraum« ist die neue. 3 Nach klassischer Rechtschreibung war allein die Schreibweise »Alptraum« zulässig; bis 1998 galt die Schreibweise mit »b« als falsch.
Ebenso irren viele Deutsche, die der Überzeugung sind, das Eszett sei durch die Reform komplett abgeschafft. »Freundliche Grüsse« sind nur in der Schweiz korrekt, und das wiederum schon seit 70 Jahren. In Deutschland schreibt man nach wie vor »Freundliche Grüße«.
Dass die Deutschen die Rechtschreibreform mehrheitlich ablehnen, ist nicht allein mit den Ungereimtheiten zu begründen, die nach der ersten Phase zutage traten. Die ablehnende Haltung der Bevölkerung ist auch auf das Totalversagen der Politik zurückzuführen. Statt offensive Aufklärungsarbeit zu leisten, haben Kommission und Rat hinter verschlossenen Türen getagt. Nur spärlich gelangten Informationen über die Neuordnung an die Öffentlichkeit, und das meistens in kritischen Artikeln der Feuilletons – nichts, was von der Mehrheit gelesen würde. Aber für diehat man sich ohnehin nicht interessiert. Im Fernsehen wurden immer nur Bilder von Schultafeln gezeigt, auf denen links die Wörter »Spaghetti«, »eislaufen« und »Delphin« standen und rechts »Spagetti«, »Eis laufen« und »Delfin«. Das war’s, mehr Volksaufklärung gab es nicht.
Ich hätte es begrüßt, wenn man die neuen Regeln auf handliche Faltblätter gedruckt und als Hauswurfsendung an alle Bürger verteilt hätte – oder wenn man sie an Bushaltestellen plakatiert hätte. Das wäre immerhin praktisch gewesen. Das hundertseitige PDF, das man auf der Internetseite des Rechtschreibrates herunterladen kann, ist es jedenfalls nicht. Die Kulturpolitiker meinten, dem Volk die Entscheidung über die Gestaltung seiner Schriftsprache aus der Hand reißen zu können, und haben es nicht für nötig erachtet, das Volk in angemessener Weise auf dem Laufenden zu halten. Die Rechtschreibreform war für vieles beispielhaft: für einen leidenschaftlich geführten Kulturkampf, für Missmanagement, für absurdes Theater und Demagogie. Sie war kein Lehrstück in Sachen Demokratie.
Die Zukunft unserer Orthografie liegt nicht in den Händen von Politikern und auch nicht in der Duden-Redaktion, sondern in den elektronischen Kommunikationsmitteln. Der größte Teil dessen, was tagtäglich geschrieben wird – Artikel für Zeitungen, Geschäftsberichte, persönliche Korrespondenz –, entsteht heute am Computer. Und immer mehr Menschen verlassen sich dabei auf die automatische Rechtschreibprüfung ihres Textverarbeitungsprogramms.
Auch ich nutze sie, obwohl ich meine liebe Not mit ihr habe, denn sie unterstreicht mir ständig das Wort
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