Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5
Erscheinens schon seit Stunden geharrt … die schon seit Stunden auf ihn gewartet hatten, gerieten in äußerstes Entzücken und riefen: ›Welche Muster! Welche Farben! Und wie gut die Schleppe sitzt!‹ Niemand wollte sich anmerken lassen, dass er in Wahrheit gar nichts sah, denn sonst hätte man ihn womöglich der Dummheit geziehen – oder ihn zum Vollidioten abgestempelt.
Da rief schließlich ein Kind: »Aber er hat ja nichts an! Warum hat der Kaiser denn nichts an?!« Und Kindermund tut be kanntlich Wahrheit kund. Darauf ging ein Raunen durch die Menge: »Das Kind hat Recht! Um Himmels willen! Der Kaiser ist völlig nackt!«
Wie – um Himmels willen – sagt man ›um Himmels willen‹ ohne Genitiv? ›Um dem Himmel seinen Willen‹? Weiß der Teufel! Ist auch schnurz, denn wir sind ohnehin gleich am Ende.
Ungeachtet des Raunens – also ohne das Raunen zu beachten – setzte der Kaiser seine Prozession fort, aufrechten Ganges – oder wenigstens aufrecht gehend –, und die Kammerdiener trugen die Schleppe, die gar nicht da war.
So endete das Märchen. Und der Geschichte ihre Moral? Genitiv oder Dativ – mir war inzwischen alles egal! Denn ob nach dieser oder jener Art – ist letztlich ein Streit um dem Kaiser seinen Bart.
Das Publikum applaudierte höflich, und ein sichtlich bewegter Herr Schmitz kam auf mich zu, tätschelte mir die Schulter und sagte: »Sehen Sie, war doch gar nicht so schwer! Sie waren für alle gut zu verstehen!« Ich tupfte mir ein paar Schweißperlen von der Stirn und lächelte dankbar. »Und übrigens«, fügte Herr Schmitz hinzu, »damit Sie es wissen: ›Dem Kaiser seine neuen Kleider‹ ist nicht grundsätzlich falsch! Es kommt auf den Zusammenhang an!« – »Auf welchen Zusammenhang?«, fragte ich, »den regionalen?« – »Nein«, erwiderte er, »auf den grammatischen! Es ist doch alles in bester hochdeutscher Butter, wenn es heißt: ›So stehen dem Kaiser seine neuen Kleider noch viel besser‹!«
Die Entmannung unserer Sprache
Ist unsere Sprache sexistisch? Werden Frauen durch Wörter wie »Studenten«, »Besucher« und »Fußgänger« diskriminiert? Müssen wir das Deutsche einer Geschlechtsumwandlung unterziehen? Einige Bürokraten verlangen dies tatsächlich, vor allem in der Schweiz.
Als ich an einem ganz gewöhnlichen Freitag in der Zeitung blätterte, blieb ich an einem Artikel über Amtsdeutsch hängen, der so unglaublich war, dass ich mich prompt an meinem Kaffee verschluckte. Darin wurde über die Arbeit einer Schweizer Nationalrätin berichtet, die sich seit Jahren energisch dafür einsetzt, die Amtssprache so geschlechtsneutral wie möglich zu gestalten.
Mit Erfolg, wie sich zeigte. Denn im Sommer 2010 brachte die Stadt Bern einen »Sprachleitfaden für die Stadtverwaltung« heraus, der die Vermeidung geschlechtsspezifischer Wörter empfiehlt. Anstelle von männlichen Personen- und Berufsbezeichnungen wie »Arbeiter«, »Kunde«, »Fußgänger« und »Besucher« solle man neutrale Begriffe wie »Arbeitende«, »Kundschaft«, »Passanten« und »Gäste« verwenden.
Ähnliche Bestrebungen kennt man ja bereits von unseren Universitäten, an denen es laut offizieller Sprachregelung keine Studenten mehr gibt, sondern nur noch Studierende. Der Berner Sprachleitfaden geht aber noch weiter. Auch bei Zusammensetzungen, die einen geschlechtsspezifischen Teil enthalten, müsse künftig umgedacht werden. Statt »Mitarbeitergespräch« empfiehlt der Leitfaden »Beurteilungsgespräch« – offenbar voraussetzend, dass es in Gesprächen mit Mitarbeitern immer um deren Beurteilung gehe.
Die »Einwohnerbefragung« soll nach Willen des Berner Stadtrates künftig zur »Bevölkerungsbefragung« werden. In Deutschland haben wir ja zum Glück noch das schöne kompakte Wort »Volksbefragung« oder auch die »Volkszählung«, die zwar nicht unumstritten ist, aber das nicht aus genderspezifischen Gründen.
Und nicht zu vergessen der Führerschein! Oder, wie man in der Schweiz sagt, »Führerausweis«. Der muss ebenfalls dran glauben. Denn wo bleiben da schließlich die Führerinnen? Darum soll der Führerschein in der Schweiz demnächst »Fahrausweis« heißen.
Bei uns ist es im Prinzip ja ähnlich: Wenn man mit Alkohol am Steuer von der Polizei angehalten wird, heißt es auch hierzulande statt Führerschein plötzlich Fahrausweis – für Bahn und Bus.
Ebenfalls zu männlich: der »Fußgänger«. Auch der wird – schnipp, schnapp – seiner Männlichkeit beraubt. Der
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