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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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heute alles aufgehoben – einschließlich meines ersten Diktats.
    Zehn Jahre später habe ich Wolfdietrich Schnurre noch einmal wiedergesehen. Diesmal nicht in Italien, sondern in Norddeutschland. Meine Großmutter hatte aus der Zeitung erfahren, dass Schnurre eine Lesung in Plön halten würde, und hatte mich eingeladen, mit ihr dort hinzufahren. Ich war inzwischen ein junger Mann von fast 19 Jahren, der seinen Wehrdienst ableistete. Und Schnurre war mit seinen Romanen »Der Schattenfotograf« (1978) und »Ein Unglücksfall« (1981) in die erste Garde der deutschen Literatur aufgerückt. Ihn aus seinen Werken vorlesen zu hören, war für meine Großmutter und mich ein heiliger Genuss. Im Anschluss signierte er Bücher. Ich hatte die beiden Kinderbücher von damals dabei und sagte: »Guten Tag, Herr Schnurre, erinnern Sie sich noch an mich?« Er erkannte seine Widmung und strahlte: »Der Bastian! Aber natürlich! Du bist seit damals um einiges gewachsen!«
    1989 starb Wolfdietrich Schnurre im Alter von 68 Jahren. Doch in seinen zahlreichen Erzählungen, in denen sich Melancholie und Menschenliebe auf poetische Weise paaren, ist er für mich bis heute lebendig geblieben.
    An unsere Begegnungen denke ich jedes Mal zurück, wenn ich einen kleinen Jungen vor mir stehen sehe, der mich mit großen Augen anblickt und mir wortlos eines meiner Bücher zum Signieren entgegenstreckt. Dann geht mir das Herz auf wie ein rot lackierter Fensterladen an einem sonnigen Morgen über dem Lago Maggiore.

    Bastian Sick
    Hamburg, im Mai 2013

Zehn gute Gründe für Deutsch
    Die Kulturwächter schlagen Alarm: Das weltweite Interesse an der deutschen Sprache geht zurück! Und nicht erst, seit Guido Westerwelle Außenminister ist. 2005 lernten noch 17 Millionen Menschen Deutsch als Fremdsprache, 2010 waren es zwei Millionen weniger. Dabei gibt es viele gute Gründe für Deutsch.
    »Können Sie zehn gute Gründe nennen, Deutsch zu lernen?«, wurde ich unlängst in einem Interview gefragt. »Geben Sie mir zehn Minuten Bedenkzeit«, bat ich. Zehn überzeugende Gründe lassen sich schließlich nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln. Doch mit ein wenig Überlegung sollten sie sich finden lassen. Immerhin leben in Deutschland, Österreich und der Schweiz und in ihren angrenzenden Regionen mehr als hundert Millionen Menschen, die mit Deutsch aufgewachsen sind. Wir sind also schon mal keine ganz kleine Sprachgemeinschaft, im Gegenteil: Innerhalb Europas ist Deutsch die Sprache mit den meisten Muttersprachlern, noch vor Englisch und Französisch.
    Außerhalb Europas sieht es dann schon etwas anders aus; auf der Liste der zwölf wichtigsten Weltsprachen rangiert Deutsch weit hinter Englisch, Chinesisch, Spanisch und Hindi auf Platz zehn, aber immerhin noch vor Japanisch, Koreanisch und Finnisch Anmerkung . Wenn sich Schüler in anderen Ländern, zum Beispiel in Spanien oder Frankreich, zwischen Deutsch und einer anderen Fremdsprache entscheiden müssen, wählen sie oft die andere. Deutsch ist nicht gerade die beliebteste Sprache. Und wenn man nachfragt, warum das so sei, bekommt man oft zu hören, Deutsch sei eben nicht ganz einfach. Zu viele Fälle, zu viele Geschlechter, zu viele Regeln, zu viele Ausnahmen. Das schreckt ab. Eigentlich sollte gerade das ein guter Grund sein, Deutsch zu lernen. Denn wer will schon etwas, das einfach ist? Einfach – das kann schließlich jeder. Wer Deutsch beherrscht, kann etwas Besonderes! Etwas, das nicht jeder kann. Nicht einmal jeder Deutsche. Englisch ist der Volkswagen unter den Sprachen, Deutsch der Rolls-Royce.

    Zu den immer wieder genannten Vorurteilen über die deutsche Sprache gehört auch, dass sie keinen besonders schönen Klang habe. Sie sei bei Weitem nicht so melodiös wie das Französische, nicht so weich wie das Englische, nicht so temperamentvoll wie das Italienische, nicht so schwermütig wie das Russische, und nicht so angriffslustig wie das Japanische.
    Deutsch, so wird behauptet, klinge eher wie eine Zementmischmaschine – oder wie berstendes Holz. Oder wie eine Gruppe heiserer Gänse, die mit einem geklauten Zementmischer gegen einen Baum gerast ist. Doch wer sich ein bisschen genauer mit der deutschen Sprache auseinandersetzt, der wird im Klangspiel der Silben eine wunderbare, kraftvolle Schönheit erkennen. Wie bei jeder Sprache kommt es darauf an, wer sie spricht – und wie. Der Ton macht die Musik.
    Darum ist Deutsch nicht von ungefähr lange Zeit die führende Sprache der Musik

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