Gray Kiss (German Edition)
1. KAPITEL
Das Crave war früher der Haupttreffpunkt für gefährliche Kreaturen, doch heute Abend schien ich das einzige gefährliche Wesen hier zu sein.
Vor einer Woche verlor ich in diesem Club meine beste Freundin. Ich verlor sie im wahrsten Sinn des Wortes, in einem wirbelnden schwarzen Strudel, der sich auftat und sie verschlang und sie … an einen anderen Ort brachte. An einen schrecklichen Ort.
Ich wusste noch nicht, wie ich es anstellen sollte, dennoch klammerte ich mich an die winzige, aber hartnäckige Hoffnung, die sich in mir festgesetzt hatte: Ich würde sie wiederfinden.
Carly hatte Clubs wie diesen - ohne Altersbeschränkung - geliebt und war regelmäßig jedes Wochenende zum Tanzen hergekommen. Sie war immer geblieben, bis der Laden zugemacht hatte. Wenn ich die Augen schloss, tauchte immer das Bild von Carly auf der Tanzfläche vor mir auf, dem einzigen Platz, wo sie ihre Probleme vergessen konnte. Hier regierte nur die Musik ihre Welt.
Verdammt. Ich vermisste sie.
Auch deswegen war ich heute Abend hier. Ich konnte einfach nicht länger warten.
Ich war auf der Suche nach jemandem, der auch immer hier abhing. Jemand, nach dem ich schon die ganze Stadt abgesucht hatte. Jemand, der mir etwas gestohlen hatte, das ich dringend wiederhaben musste, bevor es zu spät war.
Zwar hatte ich keine Ahnung, wann dieses „zu spät“ sein würde. Doch ich hatte so ein merkwürdiges Gefühl in mir, dass es nicht mehr lange dauern würde.
„Du siehst so ernst aus, Sam“, meinte Kelly gut gelaunt von der anderen Seite der Nische zu mir. „Und du kriegst nichts von dem mit, was wir erzählen.“
„Tut mir leid“, entschuldigte ich mich, immer noch abwesend. Ich zwang mich zu lächeln und schaute Kelly und Sabrina an. Sie waren beide blond, der selbstbewusste, immer fröhliche Cheerleadertyp. Ich war weder blond, noch besonders selbstbewusst oder fröhlich. Trotzdem war ich gut mit den beiden befreundet.
Das heißt, „gut befreundet“ war vielleicht zu viel gesagt. Wir saßen meistens in der Mittagspause zusammen und hatten gemeinsam Sport. Ich glaube, sie mochten mich. Das war das Wichtigste.
Sie hatten mich heute spontan eingeladen zu ihrer „Girl’s Night Out“, und ich hatte spontan beschlossen mitzugehen. Ich verfolgte allerdings einen anderen Zweck als sie, denn ich war vor allem hier, weil ich den Jungen zu treffen hoffte, der mir im wahrsten Sinne des Wortes meine Seele gestohlen hatte.
„Genau“, stimmte Sabrina ihr zu. „Erde an Samantha! Was ist denn los mit dir?“
„Gar nichts. Ich bin heute nur nicht ganz bei der Sache.“
Was für eine Untertreibung. Bitte, einen Tisch für eine Person.
Kelly trank einen Schluck von ihrer Cola light und betrachtete die Überreste der Nachos, die vor uns standen. Es war nicht mehr allzu viel von ihnen übrig, dafür hatte ich schon gesorgt - nur ein bisschen Käsesoße und ein paar pappige Tortillachips. Eine einzelne Jalapeño lag noch da und trauerte um ihre scharfen Kollegen, die den Kampf bereits verloren hatten.
Ich konnte es nicht ändern. Heute war ich wirklich hungrig. Und wenn ich hungrig war, musste ich essen, damit meine anderen Gelüste nicht überhandnahmen.
Leider hatte der Teller Nachos keinerlei Wirkung gezeigt.
„Nur zur Info: Wir sprechen gerade über Halloween“, erklärte Sabrina mir. „Hast du schon eine Ahnung, was du auf Noah Tylers Party anziehen wirst.“
„Noah gibt eine Party?“, erkundigte ich mich abwesend, während ich über Sabrinas Schulter hinweg das Geschehen im Club beobachtete und mir Mühe gab, aufmerksam der Unterhaltung zu lauschen.
„Genau. Und er hat mir gesagt, dass er unbedingt möchte, dass du dabei bist.“ Sie grinste. „Ich schätze, da ist jemand verknallt in dich.“
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was sie meinte. Ich erschrak bei dem Gedanken daran und erinnerte mich vage, dass Noah mich letztens mit Blicken voll abgecheckt hatte. Ich hatte probiert, es zu ignorieren. „Ist er nicht.“
Sabrina zuckte nur mit den Schultern, und sie und Kelly tauschten einen wissenden Blick aus. „Wie du denkst. Aber du kommst doch, oder?“
„Mittwochabend?“ Ich versuchte interessiert auszusehen und fröhlich zu lächeln, obwohl mir überhaupt nicht danach zumute war. „Diese Party werde ich mir um nichts in der Welt entgehen lassen.“
Ich würde sie mir auf jeden Fall entgehen lassen. Definitiv.
Die beiden begannen, über ihre Kostüme zu reden. Ich hörte nur mit halbem Ohr
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