Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5
hinwegsetzen? Die Antwort ist ernüchternd: Sie darf es. Zwiebelsuppe in zwei Wörtern zu schreiben, ist zwar falsch, aber gesetzlich nicht verboten. Es steht jedem frei, seine ganz eigene Rechtschreibung zu kreieren, solange er dies nicht im öffentlichen Dienst tut. Wer wirtschaftlich auf eigene Rechnung arbeitet, darf auch orthografisch sein eigenes Süppchen kochen. Wenn der Hersteller allerdings glaubte, die Suppe durch das Auseinanderreißen ihrer Bestandteile appetitlicher erscheinen zu lassen, ging – zumindest was Henry und mich betrifft – der Schuss nach hinten los. Wir stellen die Tüten ins Regal zurück und schieben unseren Einkaufswagen in Richtung Feinschmeckerabteilung. Tütensuppen, die sich als Tüten Suppen ausgeben, kommen uns heute nicht in die Tüte.
Henry steuert auf das Tiefkühlregal zu und greift nach kurzem Suchen eine Packung mit Lachs heraus. »Basilikum Lachs« steht darauf in großer Schrift. Und etwas kleiner darunter: »mit Senf-Honig Sauce in Scheiben«. »Das grenzt an ein Kunststück!«, bemerkt Henry. »Was soll daran ein Kunststück sein?«, frage ich ungläubig. Henry erklärt es mir: »Ich kenne niemanden, dem es jemals gelungen ist, eine Soße aus Senf-Honig in Scheiben zu schneiden!«
Mehr zum Thema getrennte Zusammenschreibung:
»Das Elend mit dem Binde-Strich« (»Dativ«-Band 1)
»Dem Wahn Sinn eine Lücke« (»Dativ«-Band 2)
»Von der deutschlandweiten Not, amerikafreundlich zu sein« (»Dativ«-Band 2)
Übermütiges Vergnügen mit »Ü«
Es sind nicht nur die exzentrische Grammatik und die unbegrenzten Möglichkeiten der Wortzusammensetzungen, die das Besondere des Deutschen ausmachen. Auch die Umlaute zählen dazu: »ü« und »ö« mit Pünktchen gibt es nur in wenigen Sprachen. Sie sind die schönste typografische Verbindung zwischen Deutsch und Türkisch.
In der Adventszeit bekommt der Mensch Stiefel voller Lebkuchen und Schokolade, er bekommt kalte Füße und rote Nasen, Kaufanfälle, Beklemmung im Gedränge, Lust auf Gesänge, Hass auf Wham! und Katerstimmung nach zu viel Punsch. Ich bekomme in der Adventszeit regelmäßig Leserzuschriften mit Fotos von Weihnachtsmarktständen, auf denen »Advent’s-Kerzen«, »Adventzkaländer« oder »Atwentskarten« feilgeboten werden.
Einmal schickte mir jemand ein Bild von einer Angebotstafel, auf der das Wort »Gülühwein« stand. »Jetzt haben offenbar auch die Türken die Freuden der Vorweihnachtszeit entdeckt«, schrieb er dazu. Dem Gülühwein-Fundstück folgten weitere mit türkischem Anstrich: ein »Fürühstückssalon« aus Wien Anmerkung , ein Lastwagen in Deutschland mit der Aufschrift »Gürüstbau« Anmerkung . Das könne kein Zufall sein, meinte mein Freund Henry und raunte: »Das sind Ündüzien dafür, dass das Türkische aufs Deutsche abzufärben begünnt!«
Es mag ja stimmen, dass das Türkische eine Sprache mit vielen »Ös« und noch mehr »Üs« ist: Es gibt Wörter wie »Müdürlüğü« (= Direktion, Leitung) und Sätze wie »Gülüm, gül yüzünü güldürürüm senin«. Das heißt auf Deutsch: »Meine Rose, ich kann dein Rosengesicht zum Lachen bringen.« Wer hätte hinter so vielen »Üs« eine solche Poesie erwartet?
Meine Freundin Nurcan schickt mir gern per SMS »Üç küçük öpüçük«, und dann freue ich mich immer ganz besonders, denn das sind »drei kleine Küsschen«.
Die türkische Sprache zeichnet sich durch ihren Vokalreichtum aus. Sie kennt keine zwei aufeinanderfolgenden Konsonanten. Daher pflanzt mancher Türke beim Versuch, sich durchs deutsche Konsonantengestrüpp zu schlagen, die eine oder andere türkische Vokal-Blume. So kann es passieren, dass »Glühwein« zu »Gülühwein« wird und ein »Frühstück« zu einem »Fürühstück«. Nach den Gesetzen der türkischen Vokalharmonie hätte sogar ein »Fürühsütück« daraus werden können.
Tatsache ist, dass zwischen dem türkischen Alphabet und dem deutschen eine ganz besondere Verbindung besteht. 1928 löste das Neue Türkische Alphabet die bis dahin gültige arabische Schreibweise in der Türkei ab. Der Staatsgründer Kemal Atatürk hatte bei der Entwicklung des neuen Alphabets selbst mitgewirkt. Als es galt, Buchstaben für die Abbildung des »ü«-Lautes und des »ö«-Lautes zu finden, entschied Atatürk, dem deutschen Vorbild zu folgen. Daher ist die türkische neben der deutschen eine der wenigen Sprachen, in der es sowohl »Ös« als auch »Üs« gibt. Anmerkung
Ich wollte den Beweis antreten, dass nicht
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