Der Diamant (German Edition)
ist frisch wie die Knospe einer weißen Rose, wenn auch das Antlitz von dem Schleier der Traurigkeit wie verhangen ist. Was mag dieses junge Geschöpf zum Weinen bringen?«
»Die Frauen weinen um so geringer Ursachen willen,« sagte der General.
»Ich weiß nicht,« begann Martial wieder, »aber sie weint gewiß nicht, weil man sie nicht zum Tanz auffordert; ihr Kummer stammt nicht von heute.
Man sieht, daß sie sich aus Vorbedacht für heute abend so schön gemacht hat. Ich möchte wetten, sie liebt schon.«
»Bah, vielleicht ist sie die Tochter irgendeines deutschen Duodezfürsten; keiner spricht mit ihr«, sagte Montcornet.
»Wie unglücklich ist ein armes Mädchen dran,« nahm Martial wieder das Wort. »Besitzt jemand mehr Anmut und Feinheit, als unsere kleine Unbekannte? Und keine von diesen Megären, die um sie herumstehen und sich für zartfühlend halten, richtet ein Wort an sie. Wenn sie sprechen würde, könnten wir sehen, ob sie schöne Zähne hat.«
»Sieh an, du kochst ja über, wie Milch bei der geringsten Temperatursteigerung!« rief der Obrist aus, ein wenig gekränkt, in seinem Freunde so prompt einem Nebenbuhler zu begegnen.
»Wie!« sagte der junge Sekretär, ohne die Worte des Generals zu bemerken und sein Lorgnon auf alle Personen richtend, die um sie herum tanzten, »wie! kein Mensch hier sollte uns den Namen dieser exotischen Pflanze nennen können?«
»Ach, sie wird irgendeine Gesellschaftsdame sein,« sagte Montcornet.
»So, eine Gesellschaftsdame, mit Saphiren geschmückt, die einer Königin würdig sind, und in einem Kleid aus echten Spitzen? Das machen Sie andern weis, General! Sie werden auch nicht sehr groß in der Diplomatie sein, wenn Sie in Ihren Mutmaßungen in einer Minute von der deutschen Prinzessin zur Gesellschaftsdame übergehen!« Der General Montcornet hielt einen kleinen dicken Herrn am Arm fest, dessen graue Haare und kluge Augen man an allen Türecken erblickte, und der sich ohne Umstände in die verschiedenen Gruppen mischte, wo er überall ehrerbietig aufgenommen wurde.
»Gondreville, lieber Freund,« sprach ihn Montcornet an, »wer ist die entzückende kleine Frau, die da unter dem riesigen Kandelaber sitzt?«
»Der Kandelaber? Ravario, mein Lieber, Isabey hat die Zeichnung dazu gemacht.«
»Oh, ich habe deinen Geschmack und deinen Kunstsinn an dem Stück schon bewundert, aber die junge Frau darunter?«
»Die kenne ich nicht. Sie ist sicherlich eine Freundin meiner Frau.«
»Oder deine Geliebte, alter Spitzbube!«
»Nein, auf mein Ehrenwort. Die Gräfin von Gondreville ist die einzige Frau, die es fertig bringt, Leute einzuladen, die niemand kennt.«
Trotz dieser bitteren Bemerkung hatte der dicke kleine Herr ein Lächeln auf den Lippen, das die Vermutung des Kürassierobristen hervorgerufen hatte. – Dieser traf in einer benachbarten Gruppe wieder mit Martial zusammen, der dort seinerseits vergeblich versucht hatte, näheres über die Unbekannte zu erfahren. Er nahm ihn beim Arm und flüsterte ihm ins Ohr:
»Nimm dich in acht, mein lieber Martial. Frau von Vaudremont beobachtet dich seit einigen Minuten mit verzweifelter Aufmerksamkeit. Sie ist eine Frau, die schon aus der Bewegung deiner Lippen errät, was du zu mir sagst. Unsere Augen blicken schon zu vielsagend; sie hat sehr wohl die Richtung derselben bemerkt und verfolgt, und ich glaube, sie ist im Augenblick noch viel mehr mit der kleinen blauen Dame beschäftigt als wir.«
»Eine alte Kriegslist, mein lieber Montcornet. Was geht mich das übrigens an? Ich bin wie der Kaiser: wenn ich Eroberungen mache, dann halte ich sie auch fest!«
»Martial, deine Eitelkeit verlangt eine Lehre! Wie, du Wicht, du hast das Glück, der zukünftige Gatte von Frau von Vaudremont zu sein, einer Witwe von 22 Jahren, mit einer Rente von 4000 Napoleons ausgestattet, einer Frau, die dir Diamanten an die Finger steckt, welche so schön sind, wie dieser hier,« fügte er hinzu, indem er die linke Hand des Finanzsekretärs ergriff, der sie ihm bereitwillig überließ, »und du willst noch den ›Lovelace‹ spielen, als wenn du Obrist wärest und verpflichtet, den militärischen Ruf in der Garnison aufrecht zu erhalten. Pfui! denke doch an alles, was du verlieren kannst.«
»Wenigstens meine Freiheit werde ich nicht verlieren,« erwiderte Martial, gezwungen lachend. Er warf Frau von Vaudremont einen leidenschaftlichen Blick zu, auf den sie nur mit einem ängstlichen Lächeln antwortete, denn sie hatte bemerkt, wie der
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