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Der Dolchstoss

Der Dolchstoss

Titel: Der Dolchstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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Feder hin, erhob sich anmutig und zog die silberweißen Ärmel herab, die sie hinauf geschoben hatte, damit keine Tinte daran käme. Sie vollführte einen dem Amyrlin-Sitz von einer Sitzenden in ihren eigenen Räumen angemessenen Hofknicks.
    »Ich hoffe, Ihr habt keine Weißen Schwestern gefunden, die Angreale verbergen, Mutter.« Nach all diesen Jahren hörte man aus ihrer Sprache noch immer den lugardischen Akzent heraus. Sie hoffte es recht inbrünstig. Elaidas Abstieg zu den Grünen vor wenigen Stunden, während die meisten anderen schliefen, bewirkte vermutlich noch immer Jammern und Zähneknirschen. Solange man sich erinnern konnte, war keine Schwester dazu verurteilt worden, gezüchtigt zu werden, weil sie ein Angreal zurückgehalten hatte, und jetzt sollten es sogar zwei sein. Die Amyrlin mußte eine ihrer berühmten Phasen kalten Zorns durchlebt haben.
    Aber wenn das zum gegebenen Zeitpunkt zutraf, gab sie jetzt keinen Hinweis mehr darauf. Sie betrachtete Seaine einen Moment schweigend, in ihrer mit roten Schlitzen versehenen Seide kühl wie ein Winterteich, und glitt dann zu der reich verzierten Anrichte, auf der die Elfenbeinminiaturen von Seaines Familie standen. Sie alle waren schon seit Jahren tot, aber sie liebte sie noch immer.
    »Ihr habt Euch nicht erhoben, um mich zur Amyrlin zu wählen«, sagte Elaida und nahm das Bild von Seaines Vater auf. Sie stellte es hastig wieder hin und nahm statt dessen das Bild ihrer Mutter hoch.
    Seaine hätte fast erneut die Augenbrauen gewölbt, aber sie versuchte, es sich zur Regel zu machen, sich nicht häufiger als einmal am Tag überraschen zu lassen. »Ich wurde erst hinterher darüber informiert, daß der Saal sich versammelt hatte, Mutter.«
    »Ja, ja.« Elaida ließ von den Miniaturen ab und glitt zum Kamin. Seaine hatte schon immer eine Vorliebe für Katzen gehabt, und aus Holz geschnitzte Katzen aller Arten bevölkerten den Kaminsims, einige in komischen Posen. Die Amyrlin betrachtete sie stirnrunzelnd, schloß dann fest die Augen und schüttelte leicht den Kopf. »Aber ihr seid geblieben«, sagte sie und wandte sich rasch um. »Jede Sitzende, die nicht informiert wurde, entfloh der Burg und schloß sich den Aufständischen an. Warum seid Ihr als einzige geblieben?«
    Seaine spreizte die Hände. »Was konnte ich anderes tun, Mutter? Die Burg muß unversehrt sein.« Wer auch immer die Amyrlin ist, fügte sie im Geiste hinzu. Und was stimmt mit meinen Katzen nicht, wenn ich fragen darf? Nicht, daß sie diese Frage jemals laut gestellt hätte. Sereille Bagand war eine grimmige Herrin der Novizinnen gewesen, bevor sie im selben Jahr, in dem sie selbst die Stola erhielt, zum Amyrlin-Sitz erhoben wurde, und sie war eine noch grimmigere Amyrlin gewesen, als Elaida jemals sein könnte. Seaine waren die Eigenheiten mehrere Jahre lang zu nachhaltig und tief eingebleut worden, um jetzt noch etwas daran zu ändern. Oder an der Abneigung gegenüber der Frau, welche die Stola trug. Man mußte eine Amyrlin nicht mögen.
    »Die Burg muß unversehrt sein«, stimmte Elaida ihr zu und rieb ihre Hände aneinander. »Sie muß unversehrt sein.« Warum war sie nervös? Sie kannte neunundneunzig verschiedene, unangenehme Stimmungen, aber nervös war die Frau niemals. »Was ich Euch jetzt sage, ist der Flamme versiegelt, Seaine.« Sie verzog den Mund, zuckte die Achseln und riß verärgert an ihrer Stola. »Wenn ich wüßte, wie ich es noch eindringlicher ausdrücken könnte, würde ich es tun«, sagte sie vollkommen trocken.
    »Ich werde Eure Worte in meinem Herzen bewahren, Mutter.«
    »Ich möchte - ich befehle Euch -, daß Ihr Nachforschungen anstellt. Ihr müßt dies wirklich in Eurem Herzen bewahren. Wenn die falsche Person davon erfährt könnte es Tod und Unheil für die ganze Burg bedeuten.«
    Seaines Augenbrauen zuckten. Tod und Unheil für die ganze Burg? »In meinem Herzen«, wiederholte sie. »Möchtet Ihr Euch setzen, Mutter?« Das war in ihren eigenen Räumen angemessen. »Darf ich Euch etwas Minztee anbieten? Oder gewürzten Pflaumenwein?«
    Elaida winkte ab und ließ sich auf dem bequemsten Stuhl nieder, den Seaines Vater als Geschenk geschnitzt hatte, als sie die Stola erhielt, obwohl die Polster seitdem natürlich mehrmals erneuert worden waren. Die Amyrlin verlieh dem Stuhl durch ihren starr aufgerichteten Rücken und die eiserne Haltung den Anstrich eines Throns. Höchst ungnädigerweise erteilte sie Seaine nicht die Erlaubnis, sich zu setzen, so daß Seaine die

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