Der Drache aus dem blauen Ei
abgekühlt war, strahlte er schneeweiß. Er hatte graue und schwarze Flecken auf dem Rücken, die aussahen wie dunkle Schneeflocken. An den Beinen hatte er schwarze Streifen – als würde er Ringelsocken tragen. Tropfnass hangelte er sich am Rand des Spaghettisiebs hoch und flitzte über die Anrichte. Das heißt, er versuchte zu flitzen. Doch dann rutschte er auf einem kleinen Fleck Olivenöl aus, landete auf dem Bauch und schlitterte geradewegs in das offene Lavendelsäckchen. Es machte „Uffz-Ömpf“, dann stieg eine Lavendel-Staubwolke hoch. Ein schwaches Husten erklang.
„Alexander, schnell, geh in den Keller und hol den alten Hamsterkäfig!“, befahl Mama.
Der Drache sperrte das winzige Maul sperrangelweit auf und holte tief Luft. Und dann – „Hatschi-Pfffiiitt!“ – nieste er Anja eine Lavendelwolke ins Gesicht.
Drachen gibt es nicht
„Es kann kein Drache sein. Drachen gibt es nicht!“ Wie oft hatte Papa diesen Satz heute schon gesagt? Seit er nach Hause gekommen war, blätterte er zusammen mit Mama in Tierbüchern. In Mamas Arbeitszimmer gab es unzählige Bücher, außerdem viele Computer. Wenn sie hier arbeitete, entstanden am Bildschirm endlose Zahlenreihen, Bilder und Geheimzeichen. War sie damit fertig, hatten sich die ganzen Zahlen und Bilder in ein neues Computerspiel verwandelt. Und das durften Alexander und Anja als Erste ausprobieren.
„Vielleicht ist es ja ein … äh … Komodowaran“, murmelte Papa nun. Er hatte immer noch den dunkelgrauen Anzug an, den er im Büro trug. Sein sonst so strubbeliges blondes Haar war glatt gekämmt.
„Hier steht, die werden drei Meter lang und sind gefährlich.“ Papa rückte seine Brille zurecht und verglich das Bild einer riesenhaften grünen Echse mit dem weißen Winzdrachen. Dann schüttelte er ratlos den Kopf und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Die glatte Frisur löste sich auf. Jetzt, mit den verwuschelten Haaren, sah er schon eher aus wie sonst. „Nein, es ist kein Waran, keine Rieseneidechse und auch kein Feuersalamander.“
„Ich sage dir doch, es ist ein Flugdrache“, sagte Anja. „Ganz bestimmt!“
„Die gibt es nur in Büchern und Filmen“, beharrte Papa.
„Hatschi-Pfffiiittt!“, nieste der Drache. Mama hatte ihm ein kleines Handtuch in den Käfig gelegt und der Drache hatte sich bis zur Nasenspitze darin eingewickelt. Im Käfig sah er aus, als würde er im Gefängnis sitzen. Er tat Anja leid. Aber ihre Eltern wollten nicht, dass er in der Wohnung herumlief.
„Ist doch klar, dass es ein Drache sein muss“, sagte Alexander. „Ein normales Tier würde doch niemals freiwillig in heißem Wasser schwimmen.“
Mama nickte nachdenklich. „Das stimmt natürlich.“
„Jetzt muss sich unser Eierkopf aber in Acht nehmen!“, rief Alexander mit einem feixenden Grinsen. „Denn was fressen Drachen? Kleine Mädchen!“
Bo riss erschrocken den Mund auf. Alexander stampfte wie das Monster Godzilla bedrohlich auf Anja zu. „Ich fress dich, Eierkopf!“, grunzte er und verzerrte das Gesicht zu einem grässlichen Fauchen.
„Waaaahahaha!“, erklang es aus dem Käfig.
Alle drehten sich verwundert um. Der Drache lachte so sehr, dass es ihn schüttelte. Er hielt sich den wackelnden Bauch. Und sein Maul hatte er so weit aufgerissen, dass man seine winzige, gespaltene Zunge und einen rosigen Rachen sah. Japsend holte er Luft und zeigte auf Alexander. Der machte immer noch einen Buckel und stand mit erhobenen Armen in seiner Monsterpose da. Allerdings guckte er ziemlich verdattert aus der Wäsche. Was der Drache offenbar urkomisch fand. „Waaaahaha! Haha!“, platzte er wieder heraus und kippte vor lauter Lachen um. Wie ein Käfer lag er auf dem Rücken. Er giggelte und kicherte und konnte sich gar nicht wieder beruhigen.
Alexander senkte die Arme. Anjas Mundwinkel zuckten. Das Lachen war ansteckend. Sie konnte nichts dagegen tun.
„Aber … aber … Echsen können doch gar nicht lachen“, meinte Papa mit schwacher Stimme.
Bo prustete los. Und dann gab es kein Halten mehr. Anja brach in lautes Gelächter aus. Sogar Alexander gackerte auf einmal los wie ein verrücktes Huhn.
Der Drache sah kurz verblüfft in die lachenden Gesichter, dann ließ er sich anstecken. Er kreischte noch lauter als Alexander und trommelte dabei auf den Käfigboden. Langsam schlich sich ein Grinsen auch in Mamas Gesicht.
Der Drache verschluckte sich, hustete und rülpste dann eine blasslila Gewürzwolke in die Luft. Da konnte auch Papa
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