Der Drache aus dem blauen Ei
nicht mehr ernst bleiben.
„Er hat wohl zu viel von dem Lavendel gefressen“, japste Anja.
„Hehehehe!“, gellte das Drachenkichern durch das Zimmer.
„Was bist du nur für ein komisches Tier!“, sagte Papa mit einem Kopfschütteln.
„Lavundel!“, kam es mit fiepsiger Stimme zurück.
Jetzt lachte keiner mehr. Alle starrten in den Käfig.
„Hat er gerade gesprochen?“, fragte Mama.
Der Drache schnaubte stolz. „Lavundel!“, krähte er noch lauter. Dann giggelte er wieder los, als hätte er einen großartigen Witz gemacht.
„Er kichert nicht nur, er spricht auch noch!“, sagte Papa fassungslos. „Das ist ein Fall für Herrn Meisenbeißer!“
Die Prinzessin auf der Erbse
An diesem Dienstag war alles anders als sonst. Mama verschüttete ihren Morgenkaffee. Papa hatte seine Krawatte falsch herum gebunden. Und Bo bettelte so lange, bis er zu Hause bleiben durfte.
Darüber ärgerte sich Alexander. „Mann, ich hab heute bis zum Nachmittag Schule!“, maulte er. „Und Kürbiskopf sitzt zu Hause und schaut mit dem Drachen Kinderfernsehen!“
Auch Anja hätte sehr gern mit Bo getauscht. Aber es half nichts. Sie musste auch in die Schule.
„Ein richtiger Drache? Wirklich?“, fragte Yasemin in der Pause. „Spuckt er Feuer? Was frisst er denn?“
Anja zuckte nur ratlos mit den Schultern. „Er ist winzig klein und weiß und schwarz. Bis jetzt hat er noch kein Feuer gespuckt. Wir haben Haferflocken und Apfelschnitze in den Käfig gelegt, aber er rührt nichts an. Bo wollte ihm ein Stückchen Marmeladenbrot zustecken. Auch das flog in hohem Bogen auf den Teppich.“
Yasemin war Feuer und Flamme. „Ich rufe meine Oma an. Die weiß alles über Tiere. Mit Drachen kennt sie sich bestimmt auch aus.“
„Erst einmal bringe ich ihn nach der Schule zu Herrn Meisenbeißer“, sagte Anja geheimnisvoll. „Er ist der größte Drachenbändiger aller Zeiten! Und er hat ein Restaurant extra für Echsen.“
Das war natürlich übertrieben, aber es hörte sich nach einer tollen Geschichte an. Anja liebte es, sich Geschichten auszudenken und die Leute damit zu verblüffen. Na ja – und ein bisschen stimmte das mit dem Echsenrestaurant schon.
Yasemin bekam leuchtende Augen. „Ich will mitkommen!“
Kaum hatte die Schulglocke geläutet, rannten Yasemin und Anja auch schon los. Keine zehn Minuten später waren sie bei Anja zu Hause.
Mama hatte eine Schürze umgebunden. In der Küche sah es aus wie in einem Labor: Unzählige kleine Unterteller und Schüsselchen standen dort herum – mit geriebenen Möhren, Katzenfutter, Gurkenscheiben, Fisch und Salatblättern.
„Hallo, Yasemin!“, rief Mama. „Schau dir unseren kleinen Gast mal an! Vielleicht hast du ja noch eine Idee, was er mögen könnte.“
Bo saß neben dem Käfig auf dem Sofa im Wohnzimmer und schaute zusammen mit dem Drachen einen Märchenfilm.
Der Hamsterkäfig erinnerte jetzt eher an einen kleinen Palast. Bo hatte nämlich drei rote Seidenkissen hineingelegt. Plastikdinos und Ritterfiguren waren vor dem Kissenberg aufgereiht wie ein Hofstaat. Und ganz oben auf dem Kissenhaufen thronte gemütlich der Drache. Er sah aus wie die Prinzessin auf der Erbse. Er trug einen winzigen rosaroten Mantel mit silbernen Stickereien.
Moment mal, den kannte Anja doch … „Das ist ja der Mantel von meiner Prinzessin-Barbie!“, rief sie.
Bo nickte stolz und stopfte sich eine ganze Handvoll Gummibärchen in den Mund. „Ja, und er pafft genau!“, nuschelte er mit vollem Mund. „Jepft ift dem Drachen nicht mehr kalt.“
„,Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß!‘“, kam es aus dem Fernseher. Der Drache kicherte, winkte Anja zu und kuschelte sich behaglich noch tiefer in sein rotes Seidenbett. Anja sah, dass er das kleine Lavendelsäckchen als Kopfkissen benutzte.
Yasemin lachte. „Ui, der ist ja niedlich!“, rief sie.
„Pssst!“, machte der Drache vorwurfsvoll und deutete auf den Fernseher. „Rumpelstulzchen!“
„Er kann ja tatsächlich sprechen“, flüsterte Yasemin entzückt. „Ich dachte, das hättest du erfunden!“
„Gar nichts habe ich erfunden!“, erwiderte Anja leicht eingeschnappt.
In diesem Moment kam Mama aus der Küche und brachte einen winzigen Napf mit Wasser. Es war der rote Plastikdeckel einer Wasserflasche. Doch für den Drachen war er so groß wie eine Suppenschüssel.
„Na, hast du wenigstens Durst?“, fragte Mama ihn. Der Drache streckte die Arme aus und nahm den Napf huldvoll an sich.
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