Der Dreissigjaehrige Krieg
heutiger Entscheidungsträger. Charakterschwächen und Vorurteile einzelner Menschen sollten im globalen Maßstab möglichst wenig unkontrollierte Wirkung entfalten dürfen – und im Gegenzug Toleranz und demokratische Geduld miteinander wachsen. Es wäre schön, wenn dieses Porträt einer Umbruchszeit neben aller Information auch zu solchen und ähnlichen Erwägungen anregen könnte.
Hamburg, im Frühjahr 2012
Dietmar Pieper
Johannes Saltzwedel
EINLEITUNG
LEHREN DES ENTSETZENS
Bis heute wirkt die Schockwelle nach – was aber war
der Dreißigjährige Krieg überhaupt? Historiker entwirren Mythos
und Realität einer Zeit, die Europa brutal verändert hat.
Von
Johannes Saltzwedel
Z wei Jahre ist der Page schon im Dienst, als 1618 der Protest von Böhmens Ständen in Krieg umschlägt. Doch von solchen Malaisen merkt Hans Christopher von Königsmarck im beschaulichen Wolfenbüttel nicht sehr viel. Gerade 13 Jahre ist er alt; die keineswegs reichen Eltern hatten Glück, dass ihr Söhnchen am Hof des schwelgerischen, politisch ahnungslosen Herzogs Friedrich Ulrich von Braunschweig und Lüneburg unterkam. Gewiss, auch in der Sphäre eines Duodezherrschers kann man Hofregeln begreifen und die Standesgesellschaft durchschauen lernen. Aber ein Mitläufer möchte der kleine Königsmarck offenbar nicht bleiben. Schon mit 15 Jahren nimmt er die Gelegenheit zum Aufstieg wahr: Er wird Kavallerist in der Kaiserlichen Armee, wo er es unter Wallenstein bis zum Fähnrich bringt.
Fortan heben die blutigen Zeitläufte ihn empor: 1632, nun im Dienst des Schwedenkönigs Gustav Adolf, ist der 27-Jährige mit einer selbstgeworbenen Kompanie Dragoner unter den Besetzern des Erzstifts Bremen. 1634 wird er Oberstleutnant, 1636 Oberst, 1640 Generalmajor. 1645 erobert er wiederum Bremen und Verden und hat als Generalleutnant beste Chancen, Schwedens militärischer Oberbefehlshaber für ganz Norddeutschland zu werden.
Als ein Jüngerer den Posten erhält, gibt sich Königsmarck verstimmt. Die Ernennung zum Feldmarschallleutnant befriedigt dann aber wieder seinen Ehrgeiz, und so gelingt ihm schließlich noch einer der allerletzten Militärcoups in diesem verheerenden Krieg: Im Juli 1648 nimmt er im Handstreich die Prager Kleinseite, Prags wichtigsten Stadtteil, macht dabei reiche Beute und verschafft den Schweden einen finalen Trumpf bei den Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück.
Lange schon hat der Haudegen mit Weitblick mehr als gut am Krieg verdient; hinterher zahlt sich sein Dienst erst recht aus. Er bleibt Gouverneur von Bremen und Verden, bekommt obendrein auf schwedischem Grund eine Grafschaft verliehen und wird sogar ausnahmsweise in den Stockholmer Reichsrat aufgenommen. Bald ist er so wohlhabend, dass er seinem fortwährend klammen Arbeitgeber große Summen vorstrecken kann. Bei seinem Tod 1663 hinterlässt Königsmarck Grundbesitz und Vermögen im Wert von fast zwei Millionen Reichstalern.
Natürlich ist dieser Lebenslauf nicht repräsentativ, ganz im Gegenteil. Aber er belegt, dass jene Epoche, der unauslöschlich das Siegel des Grauens anhaftet, wohl kaum so leicht zu durchschauen sein kann, wie landläufige Vorstellungen es suggerieren.
Dreißigjähriger Krieg: Damit verbinden sich im Schulbuchwissen Konfessionshader und plündernde Landsknechte, Massenschlachten, Verwüstungen, Hungersnot und politisches Chaos. Teuerung, Seuchen und Schübe von Hexenwahn vervollständigen das Horrordrama zum Urbild im kollektiven Unbewussten vor allem der Deutschen: Diese Ballung des Schreckens war ein grauenhaftes Naturereignis, ein »Strafgericht Gottes«, Vorschein der Hölle auf Erden.
Sogleich treten vor das geistige Auge Szenen aus Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausens bedrückend anschaulicher Geschichte vom »Abenteuerlichen Simplicissimus« (1668), in der ein entwurzelter Bauernsohn durch das Miterleben von Folter, Verheerung, Drangsal und Leid denkbar hart im bösen Irrgarten der Welt umhergeschleudert wird. Oder die dumpfen Worte der Titelheldin aus Bertolt Brechts Schauspiel »Mutter Courage und ihre Kinder« (1941) klingen nach: »Ich muss wieder in den Handel kommen«, das ist alles, was dieser vom Elend gezeichneten Marketenderin, die ihre drei Kinder im Krieg verloren hat, noch zu denken übrig bleibt.
Spezialisten arbeiten seit langem daran, das Szenario vom katastrophalen »Tiefpunkt« menschlicher Existenz – wie es der Historiker Anton Schindling ausdrückt – durch einen nüchternen,
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