Blüte der Tage: Roman (German Edition)
PROLOG
Memphis, Tennessee, August 1892
Ein Bastard war in ihren Plänen nicht vorgesehen. Als sie erfuhr, dass sie das Kind ihres Liebhabers in sich trug, verwandelten sich der Schock und die Panik rasch in blanke Wut.
Es gab natürlich Mittel und Wege, das Problem zu lösen. Eine Frau in ihrer Position verfügte über Kontakte, Möglichkeiten. Doch sie schreckte davor zurück, fürchtete die Engelmacher fast genauso wie dieses wachsende, unerwünschte Etwas in ihr.
Die Geliebte eines Mannes wie Reginald Harper konnte sich eine Schwangerschaft nicht leisten.
Er hielt sie nun seit nahezu zwei Jahren aus und zeigte sich dabei sehr großzügig. Oh, sie wusste, dass es auch noch andere Frauen gab – einschließlich seiner Gattin –, doch das kümmerte sie nicht.
Sie war noch jung. Und sie war schön. Jugend und Schönheit ließen sich gut verkaufen. Sie hatte das beinahe zehn Jahre lang getan, mit klarem Verstand und stählernem Herzen. Sie hatte sich Anmut und Charme angeeignet, indem sie jahrelang die feinen Damen beobachtet und nachgeahmt hatte, die in dem Herrenhaus am Fluss, wo ihre Mutter arbeitete, ein- und ausgegangen waren.
Sie hatte auch etwas Bildung genossen. Gleichwohl
wusste sie weniger über die schönen Künste als über die Kunst der Verführung.
Zum ersten Mal hatte sie sich im Alter von fünfzehn Jahren verkauft und sich mit dem Geld auch Erfahrung erworben. Doch Prostitution war nicht ihr Ziel, genauso wenig wie ein eintöniges Leben als Hausfrau oder Fabrikarbeiterin. Sie kannte den Unterschied zwischen einer Hure und einer Geliebten. Eine Hure tauschte schnellen, kalten Sex gegen eine Hand voll Münzen ein und war aus dem Gedächtnis des Mannes bereits gelöscht, noch ehe er seinen Hosenlatz wieder zugeknöpft hatte.
Eine Geliebte hingegen – zumindest eine kluge und erfolgreiche – bot auch Romantik, Bildung, Gespräche und Vergnügen. Sie war eine Gefährtin, eine Klagemauer, eine sexuelle Fantasie. Eine talentierte Geliebte verstand es, nichts zu fordern und sehr viel zu erhalten.
Amelia Ellen Conner hatte Talent – und ehrgeizige Ziele. Die meisten hatte sie auch erreicht.
Sie hatte sich Reginald sorgfältig ausgesucht. Er war weder attraktiv noch geistreich. Dafür war er, wie ihre Nachforschungen bestätigt hatten, sehr reich und seiner dünnen, ehrbaren Gattin, die über das Harper-Anwesen herrschte, sehr untreu.
Eine seiner Geliebten lebte in Natchez und angeblich eine weitere in New Orleans. Da er sich mühelos noch eine Geliebte leisten konnte, hatte Amelia die Netze nach ihm ausgeworfen – ihn gelockt und erobert.
Mit vierundzwanzig Jahren lebte sie in einem hübschen Haus in der South Main und verfügte über drei Dienstboten. Ihr Schrank war mit schönen Kleidern gefüllt und ihr Schmuckkästchen mit glitzerndem Geschmeide.
Gut, sie wurde von den feinen Damen, die sie einst so beneidet hatte, nicht empfangen, dafür gab es eine mondäne Halbwelt, wo eine Frau ihrer Stellung willkommen war. Und wo man sie beneidete.
Sie veranstaltete rauschende Partys. Sie reiste. Sie lebte.
Doch ein Jahr, nachdem Reginald sie in diesem hübschen Haus untergebracht hatte, stürzte ihre klug und geschickt aufgebaute Welt plötzlich ein.
Sie wollte es vor ihm verbergen, bis sie den Mut gefunden hätte, in den Rotlichtbezirk zu gehen und der Sache ein Ende zu setzen. Doch dann ertappte er sie dabei, wie sie sich erbrach, und musterte mit diesen dunklen, scharf blickenden Augen prüfend ihr Gesicht.
Und wusste Bescheid.
Er war nicht nur erfreut, sondern verbot ihr sogar, die Schwangerschaft abzubrechen. Und zur Feier des Ereignisses kaufte er ihr eine Saphirkette.
Sie hatte das Kind nicht gewollt, aber er wollte es.
Also begann sie zu überlegen, wie sie das Kind zu ihrem Vorteil einsetzen könnte. Als die Mutter von Reginald Harpers Kind – ob Bastard oder nicht – würde sie bis an ihr Lebensende versorgt sein. Wenn ihre Jugend verwelken und die Schönheit schwinden würde, würde er vielleicht das Interesse an ihr verlieren, das Kind und sie aber dennoch weiterhin unterstützen.
Seine Gattin hatte ihm keinen Sohn geschenkt. Doch vielleicht würde sie ihm einen Sohn gebären.
Und so plante sie ihre Zukunft, während der Winter verging und der Frühling ins Land zog.
Dann geschah etwas Seltsames. Das Kind begann sich zu bewegen. Streckte sich, boxte, trat verspielt gegen ihren
Bauch. Das Kind, das sie nicht gewollt hatte, wurde plötzlich ihr Kind.
Es wuchs in
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