Der Dreissigjaehrige Krieg
VORWORT
Die einschlägigen Bilder sind aus vielen Schulbüchern bekannt: Dreißigjähriger Krieg, das bedeutet marodierende Söldner, gepeinigte Bauern, Hunger und Seuchen – ein Arsenal des Schreckens, wie es sonst nur die beiden Weltkriege im Gedächtnis der Deutschen wachrufen. Aber war der Konflikt tatsächlich so verheerend? Was löste ihn aus, was hielt ihn so fürchterlich lange in Gang? War es ein verschleppter Dauerzwist der Konfessionen, der im Chaos verblendeter Machtpolitik sein Ende nicht finden wollte, oder gar ein reinigendes Gewitter zugunsten jener Moderne, wie sie sich danach in Barock und Aufklärung zu etablieren vermochte?
Je näher man die verwirrenden Ereignisse betrachtet, desto komplizierter wird das Bild. Was zunächst vorwiegend innerhalb der Reichsgrenzen begann, weitete sich später auf halb Europa aus. Fürsten und Institutionen, Allianzen und einzelne Glücksritter, aber auch oft genug der nackte Zufall lenkten für jeweils einen Moment das Geschick halb Europas; selten war das den Akteuren bewusst. In immer neuen Konstellationen gerät die zuvor scheinbar verlässlich geordnete Welt so gründlich aus den Fugen, wie es 1618 wohl kaum ein Zeitgenosse in finstersten Prognosen hätte vorausahnen können.
Dieser Band ist ein Versuch, etwas mehr Klarheit in das düstere Dickicht namens »Dreißigjähriger Krieg« zu bringen. Mit Absicht bietet er keine große Erzählung, sondern ein Kaleidoskop von Betrachtungen: aus Sicht der Fürsten wie der kleinen Leute, aus ländlichem wie städtischem Blickwinkel, in der Überschau und am sprechenden Detail. Vom beinharten Katholizismus Kaiser Ferdinands II . bis zu den noch heute beklemmenden Tagebucheintragungen gewöhnlicher Kriegsopfer, von archäologischen Aufschlüssen im Massengrab bis zur Vorbildrolle des Westfälischen Friedens für die heutige Weltpolitik – gerade die Vielfalt an Facetten, so meinen wir, erklärt mehr als jede ausgeklügelte Theorie.
Neben etlichen erfahrenen SPIEGEL -Autoren sind namhafte Experten an der Spurensuche beteiligt: Georg Schmidt, Frühneuzeitler in Jena und einer der besten Kenner dieser kaum überschaubaren Materie, zeichnet im Gespräch einige Grundlinien vor. Sein Kollege Wolfgang Behringer aus Saarbrücken betrachtet speziell die wohl verwirrendste Phase jener Zeit, die Jahre seit 1635. Und Bernd Roeck, Historiker in Zürich, schildert am Beispiel seiner Vaterstadt Augsburg, wie das unaufhörlich wechselnde Glück in Kampf und Paktiererei die Gemüter der Bürgersleute in Bann hielt.
Natürlich dürfen auch Seitenblicke nicht fehlen: Hexenwahn, der ganze Landstriche in seelischen Ausnahmezustand versetzte, oder die gewagten Finanzierungstricks des legendären Wallenstein, aber auch der verblüffende Aufschwung von Post und Presse – das sind nur einige solcher Begleiterscheinungen, ohne die das Hauptgeschehen schwer durchschaubar bliebe. Dass daneben biographische Essays nicht fehlen dürfen, etwa über Wallenstein, Tilly oder den zielstrebigen Kardinal Richelieu, versteht sich von selbst.
Aufs Ganze gesehen wird so das Bild vom gepeinigten Kontinent in vielem korrigiert und ergänzt. Natürlich ist an den Verwüstungen wenig zu deuteln, vor allem im Streifen vom Oberrhein bis zur Ostseeküste, der durch Heereszüge und Schlachten am schrecklichsten heimgesucht wurde. Aber es gab eben auch ganze Regionen, die verschont blieben, ja profitierten. So stieg etwa Hamburg dank Kaufmannsgeist und geschickter Diplomatie zum wichtigen Umschlagplatz auf. Die jahrelangen Unterhandlungen in Münster und Osnabrück, die endlich doch zum Frieden führten, gelten heute unter Historikern gar als Musterstück geduldiger Diplomatie: Das durch sie begründete Reich sollte gerade wegen seiner erstaunlichen Komplexität längeren Bestand haben als etliche Vorgänger und Nachfolger.
Aus Geschichte lernen zu wollen, diese alte Hoffnung ist spätestens seit den bedeutenden Studien von Reinhart Koselleck und Hayden White (»Auch Klio dichtet«) als rührend-dubiose Rhetorik entlarvt. Angesichts eines Konfliktes, dessen Anfang und Ende nur mit Mühe zu fassen sind, ja um dessen Gegenstand selbst die Fachleute weiterhin heftig diskutieren, wäre es vermessen, irgendein Fazit zu wagen. Immerhin aber dürfte der Blick zurück auf die rauen Zustände vor fast vierhundert Jahren unterschwellig auch zur gründlicheren Reflexion über die Gegenwart beitragen, und sei es nur durch einen geschärften Sinn für die hohe Verantwortung
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