Der dritte Berg
lasse mich wieder in mein Ledersofa fallen.
Ich klappe das Notebook auf und stelle fest, dass es läuft, obwohl ich es doch runtergefahren habe. Ich werfe einen Blick auf meine Mails. Vielleicht deshalb, weil der Eindringling in ihnen rumgestöbert hat. Der Ordner mit den gesendeten Mails ist geöffnet. Und ich frage mich, ob der dunkle Kerl gefunden hat, weshalb er gekommen ist. Ein Dieb ist er nicht. Mein Portemonnaie liegt auf meinem Schreibtisch, die Kreditkarte steckt darin, und das Einzige von Wert in meiner Wohnung, ein in seinem Feuerkranz tanzender, bronzener Shiva Nataraja aus dem dreizehnten Jahrhundert, steht unberührt und entrückt auf seiner Konsole.
Ich bin jetzt klar im Kopf, spule alle Möglichkeiten durch. Ich erstelle eine Liste, streiche und korrigiere. Es bleibt dabei: Irgendjemand (mit diesem Indefinitivpronomen werde ich mich vorerst wohl abfinden müssen) trachtet danach, herauszufinden, ob ich etwas weiß.
ES GIBT SUBTROPISCHE HOCHDRUCKSYSTEME , die sich in solch solider Ordnung über einem Kontinent festsetzen, dass sie alles unter sich versengen. Erst wenn Zyklone wie gierige Bestien über diese Systeme herfallen, kehrt das Leben zurück, oder ein anderer Tod.
Es ist eine halbe Stunde später und ich sitze aufgewühlt in meinem Wagen. Vor der Motorhaube schießt die Autobahn durch eine tunnelförmige Nacht. Kurz zuvor habe ich gepackt und bin in die Tiefgarage zu meinem Wagen gelaufen. Und jetzt habe ich mich aus meiner Erstarrung gelöst und fühle mich fast wieder gut.
In meinem Gehirn jagen die Gedanken durcheinander wie Kugeln auf einem Pooltisch. Ich fange an, mich für den weinerlichen Portweinabend zu schämen. Und ich habe kapiert; ich habe kapiert, dass dieses letzte Telefongespräch mit Maggie und ihre Gardasee-Botschaft, ganz gleich was sie darin mitteilen wollte, mir zuraunen:
Du hast einen Auftrag, Prinz.
Du hast zu tun.
Steh auf, du bist viele verdammte Stunden in Verzug.
Also fahre ich durch den Nachttunnel; auch wenn ich nicht so recht weiß, wohin. Ich habe nicht einmal eine Hypothese, kein Gerüst erster Denkbarkeiten. Dieser Maettgen in Heidelberg ist meine einzige, dürre Spur, wenn man die Annahme vertritt (und mangels Alternativen vertrete ich sie vehement), dass Maggies Tod und Christians Verschwinden in Zusammenhang stehen.
Bald meldet sich die Müdigkeit zurück. Ich drossle meine überhöhte Geschwindigkeit und öffne das Wagenfenster. Kalter Regen fährt mir augenblicklich ins Gesicht. Aus dem Nichts schießt er hervor und existiert nur für mich in dieser Nacht. Woher er kommt, herrscht vollkommene Dunkelheit. Es ist eine eisnasse Finsternis, die mich für wenige Augenblicke mit einem entlegenen Ort verbindet.
Bloß bewehrt mit Taschenlampen, mit der Kletterausrüstung, Saugnäpfen, Farbe und Pinseln, werden wir auf der Age of Reason von einem Regenguss überrascht, genau in den schutzlosen Minuten, als wir das Schlauchboot zu Wasser lassen. In das Wasser des fünfundfünfzigsten Breitengrades, Süd, dessen Temperatur kaum über dem Gefrierpunkt liegt und das sich unfassbar weit in die Finsternis hinein erstreckt. Eine Minute lang sehen wir gar nichts. Dann machen wir uns mit zwei Außenbordmotoren, die auf den niedrigsten Touren laufen, an den Luxuskreuzer heran. Wir stecken in Neoprenanzügen, mit dicken Schwimmwesten, und an der weißlackierten Wand des riesigen Schiffes angekommen (tags zuvor haben wir es nur aus der Ferne zu Gesicht bekommen), arbeiten Joshua-the-Canadian, Christa und ich uns mit Kletterausrüstung und Saugnäpfen an ihr hoch. Wir sind nass von der Dünung und der Gischt und malen in großen Lettern unsere Botschaft an den Schiffsbauch. Zwei Stunden später wieder runter, wobei ich um ein Haar das Boot verpasse und im Wasser lande. Am nächsten Morgen nähern wir uns dem Kreuzer mit Kameras und filmen für eine Dokumentation, für YouTube und für unsere eigene Genugtuung das Werk der Nacht. Hinter dem Bug des Luxusschiffes, auf dem kaum noch jemand wach ist, leuchtet unser riesiger Slogan:
LUXURY FOR YOU – PEST FOR THE REST
Und darunter die Zahlen über den Kohlendioxidausstoß dieser lächerlich luxuriösen Schiffsreise nach Polynesien und in die Antarktis, die veranschlagten Rekordgewinne für die Reederei, die Tonnagen des ins Meer geworfenen Mülls und die Namen einiger prominenter Kreuzfahrtteilnehmer. Das Video wird einer der ersten großen Hits auf YouTube.
Ich lasse das Fenster wieder hochfahren und steige auf das
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