Der dritte Zustand
Jahr, nachdem Fima seinen Bachelorgrad an der Geschichtsfakultät in Jerusalem mit Auszeichnung erworben hatte. In jenen Tagen hatte sein Vater große Hoffnungen auf ihn gesetzt. Auch andere glaubten damals an Fimas Zukunft. Er erhielt ein Stipendium und hätte beinah ein Magisterstudium angeschlossen, so daß man schon an Promotion und wissenschaftliche Laufbahn dachte. Aber im Sommer 1960 traten eine Reihe von Störungen oder Komplikationen in seinem Leben ein. Bis auf den heutigen Tag grinsten seine Freunde wohlwollend vergnügt, sobald das Gespräch, in seiner Abwesenheit, auf »Fimas Geißbockjahr« kam: Man erzählte sich, Mitte Juli, einen Tag nach der letzten Abschlußprüfung, habe er sich im Garten des Klosters Ratisbon in die französische Fremdenführerin einer katholischen Reisegruppe verliebt. Er hatte auf einer Bank im Garten gesessen und auf eine Freundin, die die Schwesternschule besuchte, gewartet – eine gewisse Schula, die zwei Jahre später seinen Freund Zwi Kropotkin heiratete.Ein Oleanderzweig blühte ihm in den Fingern, und über seinem Kopf debattierten die Vögel. Von der Nachbarbank aus fragte Nicole ihn: Vielleicht gibt es hier Wasser? Sprechen Sie Französisch? Fima bejahte beides, obwohl er keine Ahnung hatte, wo es Wasser gab, und auch nur sehr spärliche Französischkenntnisse besaß. Von diesem Moment an blieb er ihr auf den Fersen, wohin sie sich in Jerusalem auch wandte, ließ trotz ihrer höflichen Bitten nicht locker und gab selbst nicht auf, als der Gruppenleiter ihn warnte, er müsse sich über ihn beschweren. Als sie zur Messe in die Dormitionskirche ging, wartete er eineinhalb Stunden vor der Schwelle auf sie wie ein Gassenköter. Jedesmal, wenn sie das King’s Hotel gegenüber dem Terra-Santa-Gebäude verließ, fand sie Fima, begeistert, ungestüm, mit brennenden Augen, vor der Drehtür. Als sie das Museum besuchte, lauerte er ihr vor jedem Pavillon auf. Kaum hatte sie das Land verlassen, sauste er in ihrem Gefolge nach Paris und von dort – bis vor ihr Haus in Lyon. Bei Mondschein nach Mitternacht, so hieß es in Jerusalem, war Nicoles Vater in den Garten hinausgekommen und hatte mit einem doppelläufigen Jagdgewehr auf Fima geschossen, wobei er ihn am Oberschenkel streifte. Drei Tage verbrachte Fima im Franziskanerhospital, begann sich schon zu erkundigen, wie man zum Christentum übertrat. Nicoles Vater kam ins Krankenhaus, bat ihn um Verzeihung und erbot sich, ihm beim Religionswechsel behilflich zu sein, aber inzwischen hatte Nicole auch von ihrem Vater genug und flüchtete vor beiden zu ihrer Schwester nach Madrid und von dort zur Schwägerin nach Malaga, während Fima – dreckig, verzweifelt, glühend und stoppelgesichtig – ihr in Zügen und verrußten Bussen nachreiste, bis ihm in Gibraltar das Geld ausging und man ihn unter Einschaltung des Roten Kreuzes fast gewaltsam auf einem panamaischen Frachtschiff heimholte. Bei der Ankunft in Haifa wurde Fima festgenommen und saß sechs Wochen in einem Militärgefängnis, weil er mit Kugelschreiber das Datum auf dem Passierschein geändert hatte, der dem Reservesoldaten den Aufenthalt im Ausland erlaubt. Zu Beginn dieser Liebesaffäre soll Fima zweiundsiebzig Kilo gewogen haben, während die Gefängniswaage im September keine sechzig anzeigte. Er wurde aus der Haft entlassen, nachdem sein Vater sich bei einem hohen Beamten für ihn eingesetzt hatte, und verknallte sich prompt lauthals und skandalträchtig in die Gattin eben dieses Beamten, eine bekannte Dame der Jerusalemer Gesellschaft, die über eine Sammlung wertvoller Radierungen verfügte und rund zehn Jahre jünger als ihr Mann, aber mindestensacht Jahre älter als Fima war. Im Herbst wurde sie schwanger von ihm und übersiedelte in sein Zimmer im Musrara-Viertel. Die ganze Stadt zerriß sich die Mäuler über die beiden. Im Dezember ging Fima erneut an Bord eines Frachtschiffs, diesmal unter jugoslawischer Flagge, und gelangte nach Malta, wo er drei Monate auf einer Zierfischzuchtfarm arbeitete und seinen Gedichtband Augustinus’ Tod und seine Auferstehung im Schoße Dulcineas verfaßte. In der maltesischen Hauptstadt Valetta verguckte sich die Eigentümerin der billigen Pension, in der er wohnte, im Januar in ihn und zog mit Sack und Pack zu ihm ins Zimmer. Aus Angst, sie könne ebenfalls schwanger werden, entschloß er sich zu einer Ziviltrauung. Diese Ehe dauerte kaum zwei Monate, denn inzwischen war es seinem Vater, unter Mithilfe von Freunden in Rom,
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