Der dritte Zustand
Schwierigkeit. Wegen der niedrigen Wolken und dem Nebelregen gibt es hier nicht genug Licht. Man braucht Licht. Das ist alles. Er knipste die Schreibtischlampe an inder Hoffnung, damit einen Neuanfang des Aufsatzes, dieses Morgens, seines Lebens zu begründen. Doch sogleich begriff er, daß diese Lampe kaputt war. Oder vielleicht war sie heil und nur die Birne durchgebrannt? Er stürzte zum Einbauschrank im Flur, fand dort entgegen all seinen Erwartungen tatsächlich eine neue Birne und konnte sie sogar problemlos reinschrauben. Aber auch die neue Glühbirne war ausgebrannt oder womöglich von ihrer Vorgängerin beeinflußt. Deshalb ging er auf die Suche nach einer dritten, kam jedoch unterwegs auf die Idee, das Flurlicht zu probieren, und mußte sogleich beide Birnen von jeder Schuld freisprechen, weil einfach der Strom ausgefallen war. Um dem Müßiggang zu entkommen, beschloß er Jael anzurufen: Wenn ihr Mann antwortete, würde er wortlos den Hörer auflegen. War es Jael selber, würde ihm sicher der Augenblick die richtigen Worte in den Mund legen. Wie einmal, als er sie nach einem heftigen Streit mit dem Satz versöhnt hatte, wenn wir nicht verheiratet wären, würde ich jetzt um deine Hand anhalten, worauf sie ihm unter Tränen lächelnd erwidert hatte, wenn du nicht mein Mann wärst, würde ich wohl einwilligen. Nach zehn oder zwanzig hohlen Klingelzeichen sah Fima ein, daß sie gar nicht mit ihm sprechen wollte, oder vielleicht drückte Ted dort mit aller Macht die Gabel hinunter und ließ sie nicht abnehmen.
Außerdem überkam ihn Müdigkeit. Der lange nächtliche Streifzug durch die Gassen Valladolids hatte ihm den ganzen Vormittag verdorben. Um eins mußte er doch schon an seinem Arbeitsplatz hinter dem Aufnahmeschalter der Privatpraxis in Kiriat Schmuel sein. Und jetzt war es bereits zwanzig nach neun. Fima zerknüllte den Stichwortzettel, die Stromrechnung, die Einkaufsliste und den Bankauszug und warf sie allesamt in den Papierkorb, damit der Schreibtisch endlich frei für die Arbeit war. Dann ging er in die Küche, neues Kaffeewasser aufsetzen, blieb dabeistehen und erinnerte sich im Halbdämmern an das Jerusalemer Abendlicht vor rund drei Jahren am Eden-Kino in der Agrippasstraße, wenige Monate nach der Griechenlandreise. Jael hatte damals gesagt, ja, Effi, ich lieb’ dich ziemlich viel und lieb’ dich gern und lieb’ es, wenn du redest, aber warum meinst du bloß, wenn du ein paar Minuten mit Reden aufhörst, würdest du aufhören zu existieren, und er war verstummt wie ein von der Mutter ausgeschimpftes Kind. Als eine Viertelstunde vergangen sein mochte, der Kessel sich aber hartnäckig weigerte, warm zu werden, obwohl Fima zweimal den Stecker fester in die Steckdose gedrückt hatte, kapierte er endlich,daß es ohne Strom Kaffee weder gab noch geben würde. Deshalb kroch er voll angezogen wieder unter die Wintersteppdecke, stellte den Wecker auf Viertel vor zwölf, vergrub das Traumbuch unter dem Zeitungs- und Zeitschriftenstapel am Bettende, zog die Decke bis zum Kinn hoch und bemühte sich, intensiv an Frauen zu denken, bis es ihm gelang, sein Glied zu wecken, das er nun mit allen zehn Fingern umklammerte wie ein Einbrecher, der am Abflußrohr emporklettert, oder vielleicht, grinste er, wie ein Ertrinkender sich an einem Strohhalm festhält. Aber seine Müdigkeit war bei weitem stärker als seine Lust, und so erschlaffte er und nickte ein. Draußen legte der Regen zu.
3.
Flausensack
Um zwölf Uhr hörte er in den Nachrichten, ein junger Araber sei heute morgen von einem Plastikgeschoß tödlich getroffen worden, das offenbar bei einem Zwischenfall mit Steine werfenden Jugendlichen im Flüchtlingslager Jabaliya aus dem Gewehr eines Soldaten abgefeuert worden sei. Der Leichnam sei von Vermummten aus dem Krankenhaus in Gaza entführt worden, und die Umstände des Vorfalls würden weiter ermittelt. Fima sinnierte ein wenig über die Formulierung der Nachricht. Besonders verabscheute er die Wendung »von einem Plastikgeschoß tödlich getroffen«. Und ereiferte sich über das Wort »offenbar«. Danach ärgerte er sich allgemeiner über das Passiv, das dabei war, die Texte öffentlicher Verlautbarungen und vielleicht die Sprache überhaupt zu erobern.
Obwohl uns womöglich gerade die Scham, ein gesundes, löbliches Schamgefühl, daran hindert, einfach mitzuteilen: Ein jüdischer Soldat hat einen arabischen Jugendlichen erschossen. Andererseits gaukelt uns diese verunreinigte Sprache doch dauernd
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