Der dritte Zustand
ihre Vernichtung ausgerichtet. Als er an der Wohnungstür angelangt war, begriff er, daß er sich erneut widersprach, und warnte sein Hirn vor der für die israelische Intelligenzija typischen Hysterie und Weinerlichkeit: Wir müssen uns vor der verlockenden, aber törichten Annahme hüten, die Geschichte werde letzten Endes die Bösen bestrafen. Während er sich eine zweite Tasse Kaffee einschenkte, setzte er seinen vorherigen Überlegungen eine Formulierung entgegen, die er in politischen Diskussionen mit Uri Gefen, Zwicka und den anderen häufig verwendete: Wir müssen endlich lernen, in Übergangszuständen, die sogar viele Jahre dauern können, zu leben und zu handeln, statt beleidigt mit der Wirklichkeit zu spielen. Unsere mangelnde Bereitschaft, in einem offenen Zustand zu leben, unsere Sucht, sofort zur Schlußzeile überzugehen und augenblicklich festzulegen, was am Ende herauskommen soll – das sind doch die wahren Ursachen unserer politischen Impotenz.
Als er zu Ende gelesen hatte, was die Fernsehkritikerin über ein Programm, das er gestern völlig verschwitzt hatte, zu sagen wußte, war es schon nach acht Uhr. Da hatte er also wieder die Nachrichten verpaßt und stellte wütend fest, daß er zu dieser Zeit längst am Schreibtisch sitzen und arbeiten müßte. Er wiederholte sich die Worte aus dem Traum: Man muß trennen. Aber zwischen was? Eine nahe, sanfte, warme Stimme, die weder männlich noch weiblich klang, aber von tiefem Mitgefühl erfüllt war, sagte zu ihm: Und wo bist du, Efraim? Fima erwiderte: Gute Frage. Dann setzte er sich auf seinen Schreibtischstuhl, betrachtete die unbeantworteten Briefe und die Einkaufsliste, die er Samstag abend aufgestellt hatte, und erinnerte sich, daß er heute morgen dringend in einer unaufschiebbaren Angelegenheit telefonieren mußte, nur fiel ihm partout nicht ein, mit wem. So rief er Zwicka Kropotkin an, riß ihn aus dem Schlaf, worüber er nun selber erschrak, entschuldigte sich in extenso , traktierte Zwi aber trotzdem zwanzig Minuten lang mit den taktischen Fehlern der Linken,den sich abzeichnenden Veränderungen in der amerikanischen Haltung und der allenthalben unablässig tickenden Uhr des islamischen Fanatismus, bis Zwi sagte: »Entschuldige, Fima, sei nicht böse, aber ich muß mich nun wirklich anziehen und sputen, damit ich zu meiner Vorlesung komme.« Fima beendete das Gespräch, wie er es begonnen hatte, mit einer überlangen Entschuldigung, wußte aber immer noch nicht, ob er heute morgen nun jemand anrufen oder umgekehrt auf ein dringendes Telefonat warten mußte, das er jetzt durch dieses Gespräch mit Zwi womöglich verpaßt hatte, das eigentlich, wie ihm jetzt bewußt wurde, kaum ein Dialog, sondern eher ein Monolog seinerseits gewesen war. Deshalb verzichtete er darauf, auch Uri Gefen anzuläuten, und studierte unterdessen mit besonderer Sorgfalt den Computerauszug der Bank, bei dem er nicht begriff, ob nun sechshundert Schekel auf seinem Konto eingelaufen und vierhundertfünfzig davon abgebucht waren oder umgekehrt. Der Kopf sank ihm auf die Brust, und vor seinen geschlossenen Augen zogen Massen entfesselter Moslems vorüber, skandierten Suren und Parolen, zertrampelten und brandschatzten alles, was ihnen in die Quere kam. Bis sich der Platz leerte und nur noch vergilbte Papierfetzen im Winde wirbelten, eingebunden in das Rauschen des von hier bis zu den nebelgrau verhangenen Bethlehemer Bergen fallenden Regens. Wo bist du, Efraim? Wo ist die arische Seite? Und wenn ihr kalt ist, warum?
Fima wurde von einer warmen, schweren Hand geweckt. Er schlug die Augen auf und sah die braune Vaterhand wie eine Schildkröte auf seinem Oberschenkel liegen, eine alte, breite Pranke mit flachen, gelblichen Fingernägeln, die Oberfläche in Täler und Hügel gegliedert, von dunkelblauen Adern durchzogen und mit Altersflecken zwischen dem spärlichen Haarflaum gesprenkelt. Im ersten Moment war er verblüfft, doch im zweiten begriff er, daß es seine eigene Hand war. Nun raffte er sich auf und las dreimal nacheinander die am Schabbat niedergeschriebenen Stichworte für einen Aufsatz, den er noch heute in Druck zu geben versprochen hatte. Aber was er eigentlich hatte schreiben wollen, ja, was ihn gestern noch mit aufkeimender Schaffensfreude erfüllt hatte, erschien ihm jetzt banal. Damit schrumpfte auch die Lust, überhaupt etwas zu verfassen.
Nach einigem Nachdenken wurde ihm klar, daß nicht alles verloren war: Es handelt sich lediglich um eine technische
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