Der Duft der Pfirsichblüte: Eine Australien-Saga (German Edition)
Manche Frauen weinten ihnen hinterher, andere weinten ihren Kindern hinterher. Diese Tränen waren die schlimmsten, sie wurden nicht einmal von dem Gin getrocknet, der alle paar Tage an die Frauen ausgegeben wurde.
Penelope gewöhnte sich daran, ihren Gin sofort auszutrinken. Sie mochte den Rausch, der sich sogleich einstellteund sie für kurze Zeit in ein gedankenloses Traumland flog.
»Nimm’s, wie es ist«, erklärte Jenny grinsend. »Wenn schon Rausch, dann halt kurz und richtig – alles andere ist verdammter Adelskram.«
Verdammten Adelskram nannten sie alles, was klein und vornehm aussah. An einem Tag gab es Brötchen – die hatte eine feine Dame den Insassen gespendet, weil Advent war.
»Advent!«, stieß Penelope hervor. Verwirrt schaute sie auf das weiße Brötchen.
»Willst du es, oder willst du es nicht?«, fragte Jenny kauend. »Von solchem verdammten Adelskram wird man eh nicht satt.« Weil Penelope immer noch fassungslos den Kopf schüttelte, nahm Jenny ihr das Brötchen einfach aus der Hand und stopfte es sich in den Mund.
Der Kerl schaute sie die ganze Zeit an. Sie erkannte seine rötliche Haartolle wieder. Die schlechte Luft unter Deck hatte Penelope zugesetzt. Ihre Sehkraft war noch schwächer geworden. Manchmal schmerzten ihre Augenwinkel vom Zusammenkneifen – ohne dass die Welt um sie herum dadurch schärfer wurde. Schon einmal hatte sie ihn von nahem gesehen, bei einer der seltenen Gelegenheiten, wo man die Weiber nicht von den Männern abgetrennt hatte. Bei der Essensverteilung war etwas schiefgelaufen, es hatte nur einen Kübel für alle Gefangenen zusammen gegeben. Sie hatte dicht bei dem Kerl gestanden. Seine Augen waren grün, hatte sie bemerkt.
»Er ist Ire«, hatte eines der Weiber geflüstert, »ein verdammter Ire. Geh ihm aus dem Weg, Mädchen!«
Wieder schaute er zu ihr herüber.
Er schaute hungrig drein, aber nicht hungrig nach Brot.Penelope erschauderte. Noch kein Kerl hatte sie so angesehen. Gier lag in seinem Blick, jene Gier, die auch in den Augen von Lady Rose gewesen war, als sie mit Mr. Chester das Sofa geteilt hatte. Die Gier des Iren war noch unverhohlener. Er war der einzige Mann, der zu ihr herüberschaute, wann immer sie sich nach ihm umdrehte. Sie ertappte sich dabei, das öfter zu tun.
Er war das Letzte, was sie am Abend sah, bevor man sie die Stiege in die Dunkelheit hinabstieß, wo sie jedes Mal vor der Luke ausrutschte. Sein Blick verweilte bei ihr, bis sie wieder auf den Füßen stand … Und er war der Erste, der ihr am Morgen begegnete, wenn der Aufseher sie die vermaledeite Stiege wieder hochjagte und hinter ihr her fluchte, weil sie immer zu langsam war, immer zu ungeschickt und immer die Letzte … Der Ire mit seinem gierigen Blick – ihn sah sie, wenn sie vom Tritt des Aufsehers in den harten Tauen landete oder von ihm gegen die Wand der Aufseherkajüte geschleudert wurde, weil sie gestolpert war, nachdem Carrie Farlowe ihr ein Bein gestellt hatte. Sie sah den Iren bei der Essensausgabe, er gehörte nicht zu den Kerlen, die morgens an Land gerudert wurden, damit sie dort den Hafen von Sand freischaufelten oder Gerüste bauten. Vielleicht hatte er Geld bezahlt, damit er an Bord bleiben konnte.
Der Seewind brachte eine salzige Brise. Penelope schloss die Augen und sog den Geruch tief ein. Alles war besser als der Uringestank im Unterdeck, der sich wie ein klebriger Helm über den Geist legte und ihn ermüdete.
»Botany Bay?«, raunte es da neben ihr. Sie fuhr herum. Der Ire stand vor ihr. »Gehst du nach Botany Bay?«
Der Ort am anderen Ende der Welt. Penelope hatte schon lange nicht mehr an diesen Ort gedacht, es gab janur dieses Schiff und den Nebel … Sie strengte sich an, um nachzudenken. Nachdenken wurde immer anstrengender, je länger man hier war.
»Ich … Ja, ich glaube schon.«
»Heirate mich!« Seine Augen begannen zu glitzern. »Heirate mich! Und lass uns fliehen, sobald wir dort an Land gehen!«
»Was?« Penelope glaubte ihren Ohren nicht zu trauen, dann, ohne dass sie es eigentlich wollte, schlug sie mit ihrer schmalen Hand zu. »Flegel!«
Der Ire hielt sich die Wange, als ob der Hieb eine Liebkosung gewesen wäre. Sein Lächeln hatte etwas Unwiderstehliches, das die Dreistigkeit ungeschehen machte. »Heirate mich! Wie heißt du, Mädchen?«
»Penelope«, flüsterte sie.
Er nickte. »Ich heiße Liam. Komme aus Dublin. Hab versucht, das Haus des Bischofs anzuzünden. Brandstiftung, das mögen sie gar nicht. Und du? Warum
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