Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga
Tag hat dir etwas zu bieten. Heute war es ein fliegender Fisch. Warte, was morgen kommt.« Sie lächelte.
Penelope starrte sie an. Was wusste eine Frau, die die letzten Jahre ihres verdammten Lebens damit verbracht hatte, Hundekot für Gerbereien zu sammeln, vom Leben? Was wusste hier überhaupt jemand vom Leben? Gab es ein Leben außerhalb dieses Schiffes, der Ketten, der Lumpen und der Aussicht, in einem fernen Land in weitere Ketten gelegt zu werden? Das Ufer war so weit weg wie ein Traum, also schaute sie lieber gar nicht erst hin. Sie verschloss sich jeder Hoffnung und verbannte die Erinnerungen, die ihr irgendwann noch geholfen hatten durchzuhalten.
Das Kind in ihrem Leib wurde darüber still, obwohl das Land vor ihnen voller Farben und Leben zu sein schien. Grüne Bäume, schneeweiße Häuser und an der Hafenpromenade Menschen in so farbenfrohen Kleidern, dass kaum auffiel, dass viele von ihnen von schwarzer Hautfarbe waren. Penelope sah nichts davon, die Farben blieben grau und unscharf.
Jeden Tag gab es Früchte zum Abendessen, deren Namen Penelope noch nie gehört hatte. Der graue Schleier vor ihren Augen schien selbst die Süße dieser Speisen zu trüben.
»Das ist so, wenn man schwanger ist«, wusste Carrie. »Alle Schwangeren sind ein bisschen närrisch. Wirst sehen, wenn das Kind erst raus ist, schmeckt dir das Essen wieder, und lachen wirst du auch wieder können. Das wird schon.« Sie grinste. »Beim Kindermachen hat man mehr Spaß alsbeim Kinderkriegen.« Die anderen Frauen nickten und lachten, dann machten Geburtsgeschichten die Runde. Carrie blieb bei ihr, Essen war ein weitaus besseres Thema für Schwangere als die Schauermärchen anderer Frauen.
»Ich hab mal gehört, so was hier –«, sie schwenkte ihre Orange, deren Saft auf den Boden tropfte, »so was fällt in Botany Bay von den Bäumen. Man muss es nur aufheben.«
»Und warum fahren wir dann Tonnen von Proviant über die Weltmeere, wenn in den Kolonien das Essen von den Bäumen fällt?«, gab Esther zu bedenken, deren größte Sorge der Hunger war und die wegen Diebstahls von zwei Broten zu sieben Jahren Deportation verurteilt worden war. »Hast du das mal überlegt? Außerdem macht so eine Orange nicht satt.« Mühevoll nagte sie das Weiß der Schale ab, bis der bittere Geschmack sie innehalten ließ. »Ich glaube, dass es dort unten nichts zu essen gibt«, schloss sie ihre Überlegungen.
Als sie wieder auf See waren, dachte Penelope, dass Esther möglicherweise recht behalten würde. Und dass der Doktor vielleicht etwas dazu hätte sagen können. Doch sie hatte ihn, seit er sie aus dem Verschlag geführt hatte, nicht mehr gesehen. Vielleicht war er krank geworden. Oder er war vom Landgang nicht zurückgekommen. Vielleicht spazierte er mit einer feinen Dame wie Lady Rose unter den Palmen und hielt ihr den Sonnenschirm. Vielleicht hatte er ja doch ein Ziel gehabt. Und sein Zuhause nun gefunden. Penelope verweilte ein wenig bei dem Gedanken und war erstaunt, wie traurig er sie machte.
Aber nicht der Doktor war krank geworden. Auch den Kapitän hatte man einige Tage nicht mehr gesehen, und Burns, der geschwätzige Steuermann, verriet den Frauen,dass der sonst so hartgesottene Mann aus Inverness das Bett hütete und sich vom Doktor pflegen ließ. »Meine Ida hat er auch an sein Lager gerufen«, brüstete er sich – Burns war einer von den Seeleuten, der von seiner Frau begleitet wurde, weil er in der Kolonie bleiben und sich dort ein neues Leben aufbauen wollte.
»Freiwillig«, murmelte Esther, »wie kann man nur freiwillig …«
»Wenn du ohne Ketten unterwegs bist, liegt dort vielleicht das Gold auf der Straße«, meinte Carrie schulterzuckend. »Man kann es nur aufheben, wenn man frei ist. Und ich sag euch was.« Sie reckte ihre mageren Schultern. »Wir werden eines Tages frei sein. Ob nun dort unten oder wieder daheim in England. Keine Strafe währt ewig – sieben Jahre kann man zählen. Wegzählen kann man sie, ein Jahr nach dem anderen, ihr werdet es sehen! So, wie wir hier jeden Tag weggezählt haben. Ich werde frei sein!«
»Ich auch!«, rief eine andere.
»Frei!«, wagten sich immer mehr Frauen aus den Ecken hervor, wie scheue Tiere vorsichtig um sich schauend.
»Frei!«, erklang es auch noch, als ein Offizier herbeigeeilt kam, um nachzusehen, ob die Weiber etwa meuterten. Da fassten sie sich bei den Händen und raunten ihr Lied zusammen mit dem Wind, der neugierig um das Schiff herumstrich. Er nahm ihre Stimmen und
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