Opium fürs Volk: Natürliche Drogen in unserem Essen (German Edition)
Vorwort
«Nach einem guten Essen kann man jedem verzeihen, sogar der eigenen Verwandtschaft», sinnierte schon der anglo-irische Spötter Oscar Wilde. Was aber macht ein gutes Essen aus? Die Vorfreude auf den Genuss, die Befriedigung beim Essen, die Genugtuung, beim Nachtisch angenehm gesättigt zu sein, und das entspannte Lebensgefühl nach einer Mahlzeit. Dieses Vergnügen verschafft uns die Kochkunst. Sie besteht nicht nur aus der Wahl der richtigen Gewürze. Wichtiger noch ist die korrekte Zubereitung. Sie ist das Ergebnis eines über Generationen weitergegebenen Erfahrungsschatzes, oftmals komplizierter Verfahren, die als kulturelle Leistung sich bis heute neben der Naturwissenschaft behaupten konnten. Die handwerkliche Küche hat trotz des raschen technischen Fortschritts ihre Verfahren bis zum heutigen Tag pflegen können, einfach deshalb, weil hinter dem Genuss Geheimnisse liegen, die erst allmählich von den Naturwissenschaften erahnt und aufgedeckt werden. Für den einen mögen ihre Ergebnisse Abgründe beschreiben, für den anderen sind sie ein Grund unbeschreiblicher Freude.
In diesem Buch wird zum ersten Mal der Versuch unternommen, das weitverstreute Wissen über die «Glücksbringer» in unserem Essen aus den vielen Fachgebieten wie Pharmazie, Lebensmittelchemie und Physiologie zusammenzutragen und daraus ein neues Bild von der Ernährung des Menschen zu zeichnen. Endlich erhält die berühmte «Physiologie des Geschmacks» eine fachliche Grundlage, eine Untermauerung, von der Brillat-Savarin nur träumen konnte. Fachsprachlich geht es um die Psychopharmakologie der Ernährung. Und dabei geht es nicht so sehr um Salz, roten Pfeffer und Bärlauch. Denn für das Glück des Genießers sorgen vor allem psychotrope Wirkstoffe, gemeinhin «Drogen» genannt. So findet man Amphetamine in Wurst und Glühwein, Antidepressiva im Safran, Stimmungsmacher wie β-Carboline im Ketchup. Und selbst der harmlos scheinende Salat hat’s in sich, gewisse Sesquiterpene nämlich. Sein getrockneter Saft wurde in den Apotheken einst als Opiumersatz gehandelt.
In diesem Buch möchten wir Sie mitnehmen auf eine Reise durch das faszinierende «Innenleben» unserer Speisen, Kräuter und Gewürze. Wir machen Sie mit deren Chemie, Wirkung und oft wechselvollen Geschichte bekannt und zeigen Ihnen, was Gerichten jenen kulinarischen Pfiff verleiht, der unsere Sinne betört, unseren Gaumen beglückt und uns die Welt in rosigem Licht erscheinen lässt.
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Der Stoff, aus dem die Träume sind
Amine, Alkaloide und Amphetamine
Pflanzen, aber auch manche Pilze und Tiere, sind äußerst erfinderisch, wenn es darum geht, mit psychogenen Substanzen Feinde abzuwehren. Pflanzen wie der Peyotl-Kaktus setzen auf Amine wie Meskalin; Kokastrauch, Schlafmohn und Brechnuss verlegen sich auf komplizierter aufgebaute Alkaloide wie Kokain, Morphin und Strychnin (siehe Abb. 3, S. 60). Chemiker und Arzneistoffhersteller können da nur grün vor Neid werden: Scheinbar nebenbei stellt das simpelste Kraut Moleküle her, die man im Labor – wenn überhaupt – nur nach erheblichem Einsatz von Gehirnschmalz synthetisieren kann. So riesig die Zahl der psychogen wirksamen Stoffe auch ist, ein bisschen Nachsicht üben die Pflanzen mit den Chemikern denn doch: Die Substanzen lassen sich größtenteils in eine von drei chemischen Klassen einordnen: die Amine, die Alkaloide und die Amphetamine.
In geringeren Konzentrationen erzeugen viele dieser Stoffe einen mehr oder weniger heftigen Rausch und sind in größerer Dosis oft hochtoxisch. Das hat einen triftigen Grund: Diese durchweg bitter schmeckenden Stoffe sollten keine Hippies auf den Trip schicken, sondern ursprünglich gefräßige Mäuler vom Naschen abhalten. Weder Kokastrauch noch Schlafmohn konnten ja ahnen, dass sich im Laufe der Evolution ein Wesen mit Denkvermögen entwickeln würde, das ihre Abwehrstoffe als Rauschdrogen aufbereitet und «nutzt».
Morphin und Kokain wirken nur deswegen aufs Nervensystem, weil sie die Struktur von körpereigenen Botenstoffen wie Serotonin, Dopamin oder Adrenalin nachahmen. Diese Neurotransmitter sorgen dafür, dass die Signale in den Nervenbahnen weitergeleitet werden. In passender Konzentration blockieren Rauschdrogen die Signalübertragung, bringen sie ins Stolpern oder verlängern die Verweildauer von Neurotransmittern am Wirkort und damit ihre Wirkung beträchtlich. Das hat oft dramatische Effekte auf die Wahrnehmung: Sie kann verzerrt werden, es kann zu
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