Der dunkle Schirm
blieb nur ein Scherbenhaufen zurück und ein Bruch zwischen den Generationen. Mit »Der dunkle Schirm« näherte sich Dick der Wirklichkeit so weit an, wie es für einen Science-Fiction-Autor möglich war. In seiner Nachbemerkung bekennt er sich offen zum Gegenwartsbezug: »Ich selbst – ich bin keine Person in dem Roman, ich bin der Roman. Doch damals war das unser ganzes Land.« Damals: Nicht 1998, sondern 1972. Dennoch ist »Der dunkle Schirm« kein realistischer Roman. Dick nutzt die Freiheiten des Genres, um mittels sparsam eingesetzter SF-Elemente den Plot, den Kontext, die Beziehungen zwischen den Menschen etc. zu verzerren und kraft dieser kaum merklichen Verfremdungen seine Aussagen mit mehr Paranoia und mehr schwarzem Humor zuzuspitzen und zu schärfen, als in einem Gesellschaftsroman erlaubt wäre – und so wiederum zu einer präziseren, wahreren Reflexion seiner Zeit zu finden. Science Fiction nicht als Eskapismus, sondern als Konfrontation mit der Welt -»Der dunkle Schirm« ist bis heute gültiger als viele damals hoch gelobte und heute vergessene Bestseller und Kultromane. Und trotzdem gab es für Dick, den SF-Mann, im allgemeinen Programm von Doubleday keinen Platz.
»Der dunkle Schirm« erzählt die Geschichte einer Gruppe von Menschen, die für das, was sie taten, viel zu hart bestraft wurden. Eigentlich wollten sie nur eine gute Zeit miteinander und ihren Spaß haben, aber sie waren wie Kinder, die auf der Straße spielen; sie sahen, wie einer nach dem anderen von ihnen getötet wurde – überfahren, verstümmelt, ausgelöscht –, aber sie spielten trotzdem weiter.
- Philip K. Dick
Wie ein Spiel mutet das Leben der Drogensüchtigen in »Der dunkle Schirm« nun wirklich nicht an. Beschaffung, Konsum, Rausch – alles ernüchternd mechanisch. In keinem Augenblick spürt man so etwas wie Vorfreude auf die Droge, Spaß oder Lust und Genuss. »Was für eine Art, sein Leben zu verbringen«, seufzt Fred, während auf dem Schirm Stunde um Stunde der Alltag in seinem, beziehungsweise Bob Arctors Haus vorbeizieht. »Was für ein endloses Nichts.« Drogenkonsum ist simple Suchtbefriedigung, der Trip lediglich ein Leerlauf ohne jegliche spirituelle und bewusstseinserweiternde Dimension – einmal schluckt Bob zwei Substanz-T-Pillen, nur um besser einschlafen zu können –, die Dealer sind keine Propheten einer anderen, besseren Wirklichkeit, sondern zynische Geschäftsleute, die »wissen, was die Drogen auf der Straße anrichten«.
»Jesus«, seufzt Fred immer wieder, ernüchtert und entnervt. Er drückt auf die Schnellvorlauftaste, spult nach vorne, doch zu seinem Entsetzen kommen die Gespräche von Bob Arctor, Jim Barris und Ernie Luckman nicht voran – die drei verlieren sich in endlosen und im Kreis mäandernden Anekdoten, Phantasien und Theorien, wie etwa, das zweifellos schönste und abstruseste Beispiel, Luckmans Idee vom perfekten Drogenschmuggel: Aus einem Haschischklumpen einen Mann schnitzen, ihm einen Motor und ein Kassettengerät einbauen und über die Grenze schicken. Was aber, wenn der Haschischmann weiterläuft und bei den Eskimos landet? – Nach ein paar weiteren Gedankensprüngen erreicht das Gespräch seinen schizoiden Höhepunkt: »Wie kann ein Typ das bloß machen?«, murmelte Arctor. »Sich als Rauschgiftermittler ausgeben?« – »Was?«, riefen Barris und Luckman praktisch gleichzeitig. – »Scheiße, ich bin heute echt ausgeklinkt.« Arctor grinste schief. »Sich als Rauschgiftermittler ausgeben – wow.«
Diese Gespräche sind an sich urkomisch, gleichzeitig aber, weil sie das Resultat erbarmungsloser Beobachtung sind, höchst beklemmend. So grausam war Dicks Humor nie, weder vorher noch nachher. Vermutlich gibt kein anderer Drogenroman – außer vielleicht Hubert Selby Jr.’s »Requiem for a Dream« – die sich verselbständigenden und selbstgefälligen Wortströme zugedröhnter und sich für tiefsinnig haltender Drogenköpfe so akkurat wieder. Im Gegensatz zu William S. Burroughs formt und schleift Dick den Junkie-Slang eben nicht zu einer coolen und flott groovenden Kunstsprache, sondern entlarvt die Plattheit dieser Absonderungen – wer je einen Joint kreisen ließ und über Gott und die Welt und das Bewusstsein schwadronierte, weiß genau, was Dick meint. »Ich bin müde. Dieser Scheiß macht dich nach ner Weile echt fertig«, sagt Fred, als er das Band abstellt. »Ich kapier nicht die Hälfte von dem, was sie sagen, so müde bin ich.«
Philip K. Dick
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