Der dunkle Schirm
wusste, worüber er schrieb. Die Geschichte seines Drogenkonsums liest sich wie ein Abriss der Entwicklung der amerikanischen Drogenkultur seit dem Zweiten Weltkrieg, wie Patricia S. Warrick in ihrer Studie »Mind in Motion. The Fiction of Philip K. Dick« ausführt. In den fünfziger Jahren erfand die rasch wachsende Pharmaindustrie zahlreiche neue Drogen, die die Ärzte wiederum mit leichter Hand ihren Patienten, so etwa Dicks Mutter Dorothy, verschrieben. Bereits in der High School bekämpfte Dick seine Allergien und Ängste mit allerhand Medikamenten und zwischen 1958 und 1964 hielt er seinen frenetischen Schreibrhythmus nur dank der Unterstützung von Amphetaminen durch. Ab Mitte der sechziger Jahre, unter dem Einfluss seiner Frau Nancy, begann er mit LSD zu experimentieren und rauchte Marihuana – aber seine Lieblingsdrogen blieben die Amphetamine; kurz vor seinem Zusammenbruch in Vancouver warf er bis zu tausend Pillen pro Woche ein.
»Es gab eine Zeit, da habe ich mit psychedelischen Drogen experimentiert«, sagte Dick in Vancouver. In der Tat war die Erforschung der von psychedelischen Drogen induzierten Halluzinationen Teil seiner Beschäftigung mit der Wirklichkeit der Wirklichkeit, beziehungsweise seiner Spekulationen, inwieweit sich die Realität mittels Drogen manipulieren lasse und ob sich in den Halluzinationen die wahre Realität offenbare. »Das ist für mich vorbei«, gestand er seine Desillusion ein. »Ich habe zu viele kaputte Existenzen in unserer kalifornischen Drogenkultur gesehen, zu viele Selbstmorde, Psychosen, unheilbare Schäden an Herz und Gehirn.« Er klagte allerdings nicht allein die illegalen Drogen wie Heroin, Kokain und LSD an, sondern stellte den Drogenmissbrauch – und damit implizit auch seinen Roman – in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang: »Es gibt auch andere Drogen, sie sind nicht verboten, keine Straßendrogen, und die beunruhigen mich noch mehr. Es sind geachtete, gesellschaftsfähige Drogen, verschrieben von geachteten Ärzten oder verabreicht in geachteten Krankenhäusern, besonders in psychiatrischen Kliniken. Es sind Beruhigungsmittel. Ich erwähne das, um auf mein Hauptthema zurückzukommen: Mensch und Androide, und wie der erstere zum letzteren werden, gemacht werden kann.«
Wie der Mensch zum Androiden gemacht werden kann – dafür ist Fred alias Bob alias Bruce ein Fallbeispiel. »Ich würde nie mit Spinnern wie denen da rumhängen«, sagt Fred einmal. »Die reden doch nur immer wieder das Gleiche, wie senile alte Opas.« Zu diesem Zeitpunkt ist es allerdings bereits zu spät für Fred. Zu diesem Zeitpunkt ist er sich nicht mehr bewusst, dass er auch Bob Arctor ist, einer dieser »Spinner« also, und dass er selber das Objekt seiner Bespitzelung ist. Genau so hat Bob Arctor vergessen, dass er von Fred überwacht wird. Kein Wunder: Substanz T bewirke, erklärt einer der beiden Polizeiärzte dem Undercover-Agenten im Jedermann-Anzug, »eine Spaltung zwischen der rechten und der linken Hemisphäre des Gehirns. Das führt zu einem Verlust der Fähigkeit zur angemessenen Gestalt-Wahrnehmung, ein Defekt innerhalb der perzeptiven wie auch des kognitiven Systems, obwohl das kognitive System scheinbar weiterhin normal funktioniert. Doch die Daten, die das kognitive System nun vom perzeptiven System empfängt, sind durch diese Spaltung deformiert, so dass auch das kognitive System nach und nach versagt.«
Auch wenn, wie eingangs behauptet, »Der dunkle Schirm« ein ungewöhnlicher Dick-Roman ist – seinen Themen und Obsessionen ist der Autor treu geblieben: die Zertrümmerung der Realität, die Reflexion des Unterschieds zwischen Mensch und Androide. In seiner Vancouver-Rede umschrieb Dick die Androiden als »Kreaturen, die… zu Werkzeugen geworden sind, nur noch als Mittel zum Zweck dienen, und die deshalb in meinen Augen Analogien von Maschinen im negativen Sinne ähneln; Maschinen in dem Sinne, dass das körperliche Leben weitergeht, der Stoffwechsel funktioniert, aber die Seele – in Ermangelung eines besseren Begriffs – nicht mehr vorhanden oder nicht mehr tätig ist«. Gemäß dieser Definition hat die Droge Freds Realität und Identität zertrümmert und macht aus ihm einen Androiden. Substanz T, betont Warrick, ist »nicht die Pforte zur ultimativen Realität, sondern ein Gefängnis, in welchem der Geist isoliert leidet und schließlich stirbt«. Nicht zufällig heißt die hübsche blaue Blume, aus der Substanz T gewonnen wird, Mors
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