Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
folgte einige Zeit lang nichts Verständliches mehr, nur jenes unaufhörliche Murmeln. Jake holte ein weiteres Mal frisches Wasser, und als er damit zurückkam, hatte Roland sein angestrengtes, blasses Gesicht gesehen und ihm erklärt, er könne gehen.
»Aber …«
»Nur zu, geh ruhig, Schätzchen«, sagte Susannah. »Aber sei vorsichtig. Vielleicht sind dort draußen noch ein paar unterwegs, die sich rächen wollen.«
»Aber wie weiß ich …«
»Ich rufe dich, wenn es an der Zeit ist«, sagte Roland und tippte mit einem der verbliebenen Finger seiner Rechten an Jakes Schläfe. »Keine Sorge, du wirst mich hören.«
Jake hätte Eddie gern geküsst, bevor er ging, aber das traute er sich nicht. Natürlich fürchtete er nicht, dass der Tod so etwas Ansteckendes wie eine Erkältung war – da machte er sich nichts mehr vor –, aber er hatte Angst, dass allein schon die Berührung seiner Lippen ausreichen könnte, Eddie auf die Lichtung am Ende des Pfades zu schubsen.
Und daran könnte Susannah dann ihm die Schuld geben.
6
Draußen auf dem Gang fragte Dinky ihn, wie es um Eddie stehe.
»Echt schlimm«, sagte Jake. »Hast du eine Zigarette für mich?« Dinky zog die Augenbrauen hoch, gab ihm dann aber doch eine Zigarette. Der Junge klopfte sie mit einem Ende auf seinen Daumennagel, so wie er gesehen hatte, dass es der Revolvermann immer mit Selbstgedrehten machte, ließ sich anschließend Feuer geben und inhalierte dann tief. Der Rauch brannte zwar noch immer, aber nicht mehr so scharf wie beim ersten Mal. Ihm wurde diesmal nur ein bisschen schwindelig, und husten musste er auch nicht. Schon bald werde ich ein Gewohnheitsraucher sein, dachte er. Sollte ich je nach New York zurückkehren, könnte ich ja vielleicht auch beim Sender in Dads Abteilung anfangen. Jedenfalls bin ich im »Killen« schon ziemlich gut.
Er hob die Zigarette vor die Augen: eine kleine weiße Lenkwaffe, wo der Rauch statt aus dem Hinterteil aus der Spitze kam. Gleich über dem Filter stand das Wort CAMEL. »Ich hatte mir geschworen, nie damit anzufangen«, erklärte er Dinky. »Nie im Leben. Und hier stehe ich jetzt mit einer Kippe in der Hand.« Jake lachte. Es war ein bitteres Lachen, ein erwachsenes Lachen, und als er es aus seinem Mund kommen hörte, lief ihm ein kalter Schauder über den Rücken.
»Bevor ich hergekommen bin, habe ich bei so einem Kerl gearbeitet«, sagte Dinky. »Mr. Sharpton, so hat er geheißen. Jedenfalls hat der oft gesagt, dass nie das Wort ist, auf das Gott horcht, wenn er mal lachen will.«
Jake antwortete nicht darauf. Er dachte daran, wie Eddie von Sälen des Verfalls gesprochen hatte. Jake war Mia einst in einen solchen Saal gefolgt, in grauer Vorzeit, im Traum. Inzwischen war Mia tot. Callahan war tot. Und Eddie lag im Sterben. Er dachte an all die Toten, die draußen unter Wolldecken aufgereiht lagen, während in der Ferne der Donner wie scheppernde Knochen rollte. Er dachte daran, wie der Mann, der auf Eddie geschossen hatte, sich ruckartig nach links geworfen hatte, als Rolands Kugel ihm den Rest gab. Er versuchte zwar, sich an das Begrüßungsfest zu erinnern, das man ihretwegen in der Calla Bryn Sturgis veranstaltet hatte – an die Musik, den Tanz und die farbigen Fackeln –, aber deutlich sah er nur den Tod Benny Slightmans vor sich, eines weiteren Freundes. Heute Abend schien die Welt aus Toten zu bestehen.
Jake selbst war gestorben und zurückgekommen: nach Mittwelt zurück und zu Roland zurück. Er hatte sich den ganzen Nachmittag lang einzureden versucht, dass das auch Eddie widerfahren könne, aber irgendwie wusste er, dass es nicht dazu kommen würde. Jakes Part in dieser Geschichte war noch nicht zu Ende gewesen. Eddies dagegen schon. Jake hätte zwanzig Jahre seines Lebens – dreißig! – dafür gegeben, das nicht glauben zu müssen, aber er konnte nicht anders. Vermutlich hatte er es bei irgendeiner unbewussten Sondierung erfahren.
Die Säle des Verfalls, wo Spinnen ihre Netze bauen und die großen Stromkreise einer nach dem anderen verstummen.
Jake kannte da eine bestimmte Spinne. Beobachtete Mias Sohn das alles? Hatte er seinen Spaß daran? Feuerte er vielleicht die eine oder die andere Seite an, nicht anders als ein gottverdammter Yankee-Fan auf den billigsten Plätzen?
Das tut er. Ich weiß, dass er es tut. Ich spüre ihn.
»Alles in Ordnung mit dir, Kiddo?«, fragte Dinky.
»Nein«, sagte Jake. »Nichts ist in Ordnung.« Worauf Dinky nickte, als wäre das eine
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