Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
hatte… jedenfalls dachte er, daß er so betrachtete, denn etwas anderes als Schauspiele hatte er nie gesehen. Hätte er jemals einen Film gesehen, hätte er zuerst daran gedacht. Was er nicht direkt sehen konnte, konnte er aus dem Verstand des Gefangenen herausholen, denn die Assoziationen waren nahe. Aber das mit dem Namen war komisch. Er kannte den Namen des Bruders des Gefangenen, aber nicht den des Mannes selbst. Aber Namen waren etwas Geheimes, voller Macht.
Und der Name des Mannes gehörte auch nicht zu den Dingen, die wichtig waren. Eines war die Schwäche der Sucht. Das andere war der in dieser Schwäche verborgene stählerne Charakter, wie ein guter Revolver, der in Treibsand versunken war.
Dieser Mann erinnerte den Revolvermann auf schmerzhafte Weise an Cuthbert.
Jemand kam näher. Der Gefangene, der schlief, hörte es nicht. Aber der Revolvermann, der nicht schlief, hörte es und kam wieder in den Vordergrund.
9
Großartig, dachte Jane. Da erzählt er mir, wie hungrig er ist, und ich mache ihm etwas zu essen, weil er irgendwie niedlich ist, und dann schläft er mir ein.
Doch dann machte der Passagier – etwa zwanzig, groß, mit sauberen, leicht verwaschenen Bluejeans und Paisleyhemd – die Augen auf und lächelte sie an.
»Dhanki sähr«, sagte er – jedenfalls hörte es sich so an. Beinahe archaisch… oder ausländisch. Schlaftrunkenes Sprechen, mehr nicht, dachte Jane.
»Gern geschehen.« Sie lächelte ihr bestes Stewardessenlächeln und war sicher, er würde gleich wieder einschlafen und das Sandwich noch nicht aufgegessen sein, wenn es die eigentliche Mahlzeit gab.
Nun, schließlich brachten sie einem bei, mit so etwas zu rechnen, nicht?
Sie ging wieder in die Kombüse, um zu rauchen.
Sie zündete das Streichholz an, hob es halb bis zur Zigarette, und dort verharrte es vergessen, weil sie einem nicht nur beibrachten, mit so etwas zu rechnen.
Ich fand ihn irgendwie niedlich. Hauptsächlich wegen seinen Augen. Seinen mandelbraunen Augen.
Aber als der Mann auf 3A vor einem Augenblick die Augen aufgemacht hatte, waren sie nicht mandelbraun gewesen; sie waren blau. Kein süßes Sexy-Blau wie Paul Newmans Augen, sondern die Farbe von Eisbergen. Sie…
»Au!«
Das Streichholz war bis zu ihren Fingern abgebrannt. Sie schüttelte es aus.
»Jane?« fragte Paula. »Alles klar?«
»Bestens. Tagträume.«
Sie zündete ein neues Streichholz an und machte die Sache dieses Mal richtig. Sie hatte erst einen Zug getan, als ihr eine vollkommen vernünftige Erklärung einfiel. Er trug Kontaktlinsen. Natürlich. Mit denen man seine Augenfarbe verändern konnte. Er war auf der Toilette gewesen. So lange, daß sie sich schon Sorgen gemacht hatte, er könnte luftkrank sein – er hatte eine blasse Gesichtsfarbe, den Ausdruck eines Mannes, dem nicht gut ist. Aber er hatte nur die Kontaktlinsen herausgenommen, damit er angenehmer schlafen konnte. Vollkommen logisch.
Sie spüren vielleicht etwas, sagte plötzlich eine Stimme aus ihrer eigenen, nicht so feinen Vergangenheit. Ein leichtes Kribbeln. Sie könnten etwas sehen, das nicht ganz in Ordnung ist.
Farbige Kontaktlinsen.
Jane Dorning kannte mehr als zwei Dutzend Menschen, die Kontaktlinsen trugen. Die meisten arbeiteten für die Fluggesellschaft. Niemand sprach je darüber, aber sie vermutete, einer der Gründe mochte sein, daß die Passagiere nicht gerne Flugpersonal mit Brille sahen – das machte sie nervös.
Von diesen allen kannte sie vielleicht vier, die farbige Kontaktlinsen hatten. Normale Kontaktlinsen waren teuer, farbige kosteten die Welt. Die Leute aus Janes Bekanntenkreis, die dieses Geld ausgaben, waren allesamt Frauen und alle überaus eitel.
Na und? Männer können auch eitel sein. Warum nicht? Er sieht gut aus.
Nein. Sah er nicht. Niedlich vielleicht, aber mehr auch nicht, und mit seiner blassen Haut schaffte er es auch nur eine Nasenlänge bis niedlich. Warum also farbige Kontaktlinsen? Flugpassagiere haben häufig Angst vor dem Fliegen.
In einer Welt, in der Entführungen und Drogenschmuggel zu etwas Alltäglichem geworden waren, hatte das Flugpersonal häufig Angst vor den Passagieren.
Die Stimme, welche diesen Gedankengang ausgelöst hatte, war die einer Lehrerin an der Stewardessenschule gewesen, einer zähen alten Veteranin, die ausgesehen hatte, als hätte sie schon für Wiley Post Briefe geflogen; sie hatte gesagt: Ignorieren Sie Ihre Verdachtsmomente nicht. Und wenn Sie alles vergessen, was Sie über den
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